Dienstag, 20. Juni 2017 – 19:00 Uhr Galerie Smend, Mainzer Straße 31, 50678 Köln
I Gusti Putu Bawa, in der indonesischen Literaturszene bekannt unter dem Namen Samar Gantang, ist berühmt für seinen in der balinesischen Tradition stehenden Mantra-Gesang (Modre) und seine spektakulären Performances.
Er ist ein hochgelobter Poesiekünstler, der vor allem auf Bali und Java als eine Legende gilt. Obwohl sehr spektakulär, sind seine Auftritte – tief in der balinesischen Tradition verwurzelt – ursprünglich nicht für die Bühne entworfen, sondern spirituelle Akte: Rezitation, Gebet und der Dialog mit den guten und bösen Kräften sind Elemente, die seine Auftritte prägen. Als Schamane und Heiler zählt Samar Gantang in Bali zu den angesehensten spirituellen Persönlichkeiten. Die Mischung aus Gebet und Dialog soll für den Menschen eine reinigende Wirkung haben. Im Programm des balinesischen Fernsehens ist Gantang täglich mit fünfminütigen Rezitation seiner Gesänge zu sehen. Seinen ersten Auftritt in Europa hat er beim „Poetry on the road-Festival“ in Bremen.
Samar Gantang wird von Dorothea Rosa Herliany begleitet.
Kontakt: Karl Mertes | mertes@dig-koeln.de
Anmerkungen zur Modre-Poesie
I Gusti Putu Bawa Samar Gantang
MODRE-Dichtung
Ausdruck Göttlicher Größe
1996, als ich die indonesische Kampfkunst Silat und die Spiritualität der PerisaiDiri-Schule studierte, war mein Großmeister überzeugt, ich sei von schwarzer Magie besessen. Er heilte mich und sagte, die dunklen Kräfte in mir seien nun entwurzelt. Aber nach diesem Ereignis stellte ich erstaunt fest, dass ich zu einem Feigling geworden war. Oft hörte ich merkwürdige Stimmen, die mir Angst machten. Um diese Angst loszuwerden, schrieb ich auf, was die Stimmen mir sagten.
Wenn das Geschriebene nicht dem entsprach, was die Stimmen sagten, lärmten sie umso lauter in meinem Kopf. Wenn das Geschriebene jedochpasste, verschwanden sie. Seitdem machte ich in jeder Nacht vor dem “Freitag Kliwon” zwischen 1 und 3 Uhr diese Erfahrung.
Eines Tages erklärte mir meine Mutter, was es damit auf sich hatte. In jenen Nächten seien mir unsichtbare Wesen erschienen, bei denen es sich um meinen Ahnen handelte. Sie waren gekommen, um mir “adem” – gekaute Betelblätter – auf die Fontanelle zu legen.
Sie flüsterten dabei “Ah! Ah!“. Dieses „Ah!“ und seinen Klang konnte meine Mutter hören. Ich begriff, dass die Stimmen von meinen Ahnen stammten und mich schützen wollten.
Nachdem ich den “adem” von meinen Vorfahren empfangen hatte, verstummten die Stimmen und störten mich nie wieder. Meine Ӓngste verschwanden. Das eigenartige Flüstern und das Wissen um das Mantra “dasaksara” wurden später zur Grundlage meiner Modre-Dichtung.
Unter “dasaksara” versteht man die 10 magischen Silben des Sanskrits. Im Hinduismus dienen sie dem Lob Gottes: ong, sang, bang, tang, ang, ing, nang, mang, sing, wang, yang.
Der Gebrauch der Silben folgt ursprünglich festgelegten Regeln. In meinen Modre-Gedichten mache ich mich unabhängig vor diesen Regeln und drücke aus, was mir wichtig ist. Es spielt dabei keine Rolle, wie das Ergebnis aussieht, denn für mich handelt es sich direkt um die Stimme Gottes. Ihn würdige ich durch die Silben, die mir gegeben sind.
Ich stellte fest, dass, wenn ich die Buchstaben “ng” aus den magischen Zeichen entfernte, nur ein “o, sa, ba, ta, a, I, na, ma, si, wa, ya” blieb. Diese Silben sind die Grundlage meiner Gedichte. Ich kreierte hierdurch balinesische magische Zeichen und “modre” wurde zum Charakteristikum meiner Poesie.
Wer “puisi modre” liest, sieht nur Buchstaben und Silben. Ihre Schönheit entfaltet sich erst im Singsang des Vortrags. Die langen Sätze der Modre-Gedichte lese ich mit der erzählenden Stimme lyrischer Prosa und im Ton der traditionellen Puppenspieler des Palakawiya-Stils. Sind die Sätze kurz und in freier Sprache – mit “saha enggengan pemangku” – verfasst, muss ich sie wild vortragen.
Insgesamt gibt es fünf charakteristische Stimmen und Gesänge. Sie stehen jeweils in Verbindung mit den fünf Elementen “panca mahabuta”: Wasser, Erde, Feuer, Wind und Luft.
Meine Modre-Gedichte sind Ausdruck göttlicher Gröẞe – des “Ida Sang Hyang Wasa” – und das Lob der Dreieinigkeit. Sie besteht in der Modre-Sprache im “ang” für Brahma, im “ung” für Wishnu, im “mang” für Shiva und zugleich für die Lehre “somnya” oder auch aum – om – o.
Modre-Gedichte mit Windcharakter lese ich mit unbestimmter Intonation, entsprechend dem unbestimmten Geräusch des Windes. Gedichte mit Wassercharakter lese ich mit fallender Intonation, Gedichte mit Erdcharakter intoniere ich flach.
Für alle an lokaler Kultur Interessierten offenbart die “puisi modre” zunächst vor allem ihren Reichtum an Mantras und Gesängen. In den tieferen Schichten liegt ihre Philosophie verborgen, wonach das Schlechte (a-dharma) immer vom Guten (dharma) besiegt wird, wenn der Mensch Gutes denkt, Gutes sagt und Gutes tut.
Verbunden damit ist die Lehre von „Tri Kaya Parisudha”: Die Menschen sollen Gott lieben, die Natur, jede Kreatur und die gesamte Menschheit.
Entsprechend der Lehre von “Tri Hita Karana” brauchen wir in diesem Zusammenhang drei Sinnvorstellungen: “Du bist Ic – Ich bin Du – alle Kreaturen sind gleich”. Das ist die Lehre von “Tat Twam Asi”.
Modre ist Stimme, bildlicher Klang. Insofern glaube ich, meine Modre-Poesie ist weder lokaler noch indonesischer Natur. Sie spricht eine universelle Sprache.