von Karl Mertes
Auf- und anregend ist allein schon der Kreis derjenigen, die an diesem Buch mitgewirkt haben, ebenso wie die Umstände der Veröffentlichung:
Da hat Martin Jankowski, ein Schriftsteller aus Berlin, vor Jahren Indonesien für sich entdeckt, freundet sich mit Agus Sarjono aus Bandung an, der als Gast der Heinrich-Böll-Stiftung in Deutschland war. Jankowski wird von Rendra nach Indonesien eingeladen und ist später auch einmal als Gastdozent dort tätig. Dann trifft er u.a. auf Dorothea Rosa Herliany, Goenawan Mohamad, Elisabeth Soeprapto-Hastrich (übrigens sind alle diese Zeitgenossen dem aufmerksamen und interessierten Teilnehmer an Veranstaltungen der DIG ein Begriff, weil sie in verschiedenen Programmen aufgetreten sind).
Jankowski ist durch Indonesien gereist und hat seine Eindrücke in Gedichten festgehalten. Dorothea Rosa Herliany ist die Herausgeberin des Bändchens mit 31 lyrischen Interpretationen; Katrin Bandel, eine in Yogyakarta lehrende Dozentin aus Hamburg, besorgt die Übersetzungen ins Indonesische und Goenawan Mohamad – selbst Verfasser vieler Eindrücke und Momentaufnahmen von Reisen und Begegnungen (Catatan Pingir, Am Rande bemerkt; Horlemann-Verlag) – steuert ein Nachwort bei, in dem er Jankowskis Beobachtungen und Darstellungen mit Werken von Sitor Situmorang vergleicht. Das Buch ist in einem indonesischen Verlag erschienen, die Texte werden direkt zweisprachig vorgelegt; das Nachwort von Goenawan ist allerdings nicht übersetzt. Ein angehängtes Glossar erläutert einige Begriffe und Namen.
Und was bekommen wir zu lesen? In formal sehr unterschiedlicher Gestalt nimmt Jankowski uns mit auf die Reise. Mal ist es ein Dialog, mal eine Ballade, meist jedoch sind es sprachliche Assoziationen, die auf jede Interpunktion verzichten, durch die der Dichter seine Eindrücke vermittelt. Einigen Texten ist ein Leitwort eines deutschen oder eines indonesischen Dichters vorangestellt.
Für Jankowski erschließt sich erkennbar ein neuer Kosmos: Die Begegnung mit den Menschen, die Beobachtung der Natur, die Organisation des Alltags sind so faszinierend, dass er in den unterschiedlichen Momentaufnahmen bemerkenswerte Eindrücke zusammenfasst. Einiges ist flüchtig festgehalten („auf dem surrenden moped / die straßen entlang schlängeln / endlos über die hügel / vorbei an träumenden rindern / hühnerküken und lastenträgern / unter den bäumen in der dämmerung / ….“ Heimweg von Wonosari), anderes hintergründig interpretiert („zuerst kommen die kleinen durchsichtigen / geister weben einen kokon aus geduld / schützender zeit und wispernden geschichten / und dann tanzen sie mit den träumen durch / dein blut / ….“ Malaria).
Es gelingt ihm, seine höchst persönlichen Wahrnehmungen und Gefühle wort- und sozusagen bildgewaltig umzusetzen. Der Leser kann sich ausmalen, in welcher Situation der Dichter was erlebt hat. Die Texte vermögen es, die Reise durch den Archipel mit Interesse nachzuvollziehen.
Interessant ist auch die Titelwahl, nämlich ein Sekundenbuch vorzulegen. Uns ist der Begriff des Stundenbuchs vertraut, einer Zusammenstellung von Gebeten oder meditativen Texten, die eben zu bestimmten Stunden gelesen werden sollten. Aus dem europäischen Mittelalter sind solche Textsammlungen bekannt. Doch Jankowski kennt offenbar auch seinen Rilke, denn der hat vor gut hundert Jahren ebenfalls Stundenbücher verfasst, in denen er sich nicht nur mit dem Jenseitigen, sondern sehr wohl auch mit dem Gegenwärtigen befasste. Gewiss ist, dass die Sekunden aus Jankowskis Gedichtsammlung zu Stunden gerinnen können, wenn man nämlich seinen eigenen Gedanken nachhängt, zu all dem, was uns Jankowski da an Eindrücken und Anregungen mit auf den Weg gibt …
Martin Jankowski: „Indonesisches Sekundenbuch – Detik-detik Indonesia“, Indonesia Tera, Magelang 2005 (ISBN 979-775-001-x). Das Buch ist hier im Handel nicht erhältlich, kann über den Verfasser bestellt werden: Martin Jankowski, Lychener Str. 73, 10437 Berlin / www.mogwa.de