von Karl Mertes
So viel Sumatra war wohl noch nie in Wurmlingen. Gut 150 Gäste, darunter viele mit indonesischen Wurzeln, waren ins Gemeindehaus St. Josef gekommen, wo die Wurmlinger Ethnologin Christine Schreiber ihr Buch über die dort lebenden Batak vorstellte. Aus einem persönlichen Blickwinkel schreibt sie über Heilerinnen, Klan-Strukturen oder Zweitbestattungen.
Was zunächst nur eine Broschüre über die Menschen auf der sumatranischen Süßwasserinsel Samosir und die dortige Region Sidihoni hätte werden sollen, wuchs sich bald zu einem Buch aus. Fünf Jahre hatte Christine Schreiber daran gearbeitet. Der Text sollte aktuell sein, sich mit den Menschen und ihrer Kultur auseinandersetzen und gleichzeitig den persönlichen Blick der Autorin offenbaren. „Ich wollte zeigen, wie die Kultur im Hinterland noch gelebt wird. Viele benutzen da noch immer uralte Quellen, wo die Leute so tun, als wären sie noch Kannibalen.“
Schreiber lernte die Toba-Batak, eine altindonesische Volksgruppe, die im Hochland Nord-Sumatras lebt, auf einer Asienreise kennen, kehrte Jahre später als Ethnologin zurück und tauchte schließlich tief in die Kultur ein, als sie von einer Familie dort adoptiert wurde. Boru Malango ist ihr Name bei den Toba-Batak.
„Ich wollte dennoch bewusst halb europäisch bleiben“, sagte Schreiber, die nun schon einige Jahre nicht mehr dort war. „Ich entspreche ja auch gar nicht dem Bild dort. Ich bin beispielsweise noch unverheiratet – und
das in einer Klan-Gesellschaft.“
In ihrem Buch beschreibt Schreiber Klan-Strukturen, berichtet von Schamaninnen, einem Hausbau, an dem sie mitgewirkt hat oder dem noch lebendigen Ritual der Zweitbestattungen. Dabei werden die Reste toter Verwandter mehrerer Generationen ausgegraben und gemeinsam in einem eigens errichteten Haus bestattet. Das noch der alten Religion verhaftete Ritual war im christianisierten Sumatra von der Kirche lang verboten, erzählt Schreiber. „Sie mussten es aber in einer etwas bereinigten Form wieder zulassen.“ Das Buch, so sagte der zum Fest anwesende indonesische Generalkonsul Muhammad Abduh Dalimunthe, selbst einem Batak-Klan zugehörig, sei sehr wichtig. „Es gibt uns Wissen über uns. Sie weiß inzwischen mehr über uns als wir selbst.“ Der Tübinger Religionswissenschaftler Prof. Günter Kehrer hatte sie ermutigt, das Buch zu machen: „Ihr Text ist wissenschaftlich korrekt und bleibt dennoch für ein breiteres Publikum lesbar.“ Sie habe es bewusst nicht als Doktorarbeit geschrieben, wie es zunächst angedacht war. „Ich würde den Ehren-Doktor zwar gern annehmen“, scherzte sie in Wurmlingen, „aber kein Wort ändern.“
Aktuell hat die von ihr erforschte Region mit den Auswirkungen des auf den verheerenden Tsunami folgenden Erdbebens zu kämpfen. Durch eine tektonische Verschiebung sank der Wasserspiegel des vier Hektar großen Sidihoni-Sees drastisch ab. Christine Schreiber: „Das ist äußerst problematisch. Der See ist die Lebensquelle für die Leute dort.“ Im Mai will sie wieder ins Batak-Land reisen, um das Buch ihren Adoptiveltern zu überreichen.
Aus dem umfangreichen Wissen, das sich Schreiber erforscht hat, will sie noch ein kleines Sumatra-Handbuch schreiben. Ihr großes Arbeitsziel der nächsten Jahre jedoch ist Teil 2 des jetzt vorgelegten Bandes. Darin will sie die mehr als 3250 eng beschriebenen Seiten ihrer Forschungs-Tagebücher verwerten. Schreiber: „Das würde ich im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Ethnologen-Zunft gern veröffentlicht haben, bevor ich sterbe.“ (Quelle: Schwäbisches Tagblatt, 31.01.2006)
Christine Schreiber boru Malango: „Sidihoni – Perle im Herzen Sumatras I. Stationen und Bilder einer Feldforschung. Von Leben und Bestattung, Tadition und Moderne bei den Toba-Batak“; 240 Seiten mit 257 Farbbildern, Glanzfolien-broschiert. tb-verlag, tübingen. edition blick in kulturen. ISBN: 3-925882-28-6. Preis: 30 Euro, zzgl. Versandkosten
Bestellungen bitte direkt bei der Autorin: schreiber@sidihoni.com