von Rüdiger Siebert
Als 2002 das Buch „Deutsche Spuren in Indonesien – Zehn Lebensläufe in bewegten Zeiten“ erschien, kam der kritische Einwand: Zehn Biografien von Männern – gibt’s denn nichts Bemerkenswertes von deutschen Frauen in Indonesien zu berichten? Im Vorwort wurde der Einwand bereits als berechtigt aufgegriffen und beispielhaft auf Therese von Bacheracht alias Therese von Lützow hingewiesen. Mit deren Lebensgeschichte und ihren Aufzeichnungen hatte sich dankenswerterweise Renate Sternagel beschäftigt und dem Autor der „deutschen Spuren“ wertvolle Anregungen vermittelt. Nun hat die Historikerin der weithin vergessenen Frau aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das ihr gebührende literarische Denkmal gesetzt und läßt die Romanautorin und Briefeschreiberin selbst zu Wort kommen. Erstmals sind ihre Briefe aus dem Java der Jahre 1850 bis 1852 erschienen, anrührende und informative Zeugnisse aus den letzten Lebensjahren einer bemerkenswerten Frau.
Renate Sternagel: „Die Schriftstellerin Therese von Bacheracht (1804 bis 1852) war eine Zeitgenossin des Vormärz. 1849 begab sie sich auf eine Reise zur Insel Java – es wurde eine Reise ohne Wiederkehr. Zwanzig unglückliche Ehejahre mit Robert von Bacheracht liegen hinter ihr – und das desaströse Ende ihrer Liebesbeziehung zu Karl Gutzkow. Nun, auf der Insel, erkundet sie einsame Wälder und Hochebenen, Vulkankrater, Schluchten und Sümpfe, aber auch das Alltagsleben in der holländischen Kolonie. Therese von Bacheracht ist neben Ida Pfeiffer die erste Frau, die über Java berichtet. Sie bezieht ‚Männerthemen’ wie Politik, Geschichte und Religion mit ein und wagt gelegentlich auch kritische Äußerungen über das Kolonialsystem, obgleich ihr neuer Gatte Heinrich von Lützow Kommandeur der dortigen Kolonialarmee ist.“
Dieses von den Holländern und ihren europäischen Helfern beherrschte Java beschreibt Therese von Bacheracht, die sich mit der auf Küche und Kinder beschränkten Welt der damaligen Ehefrau nicht begnügt, schon deshalb, weil sie zu ihrer Überraschung bei der Ankunft in Surabaya von den Schulden des Mannes erfährt und energisch Haushalt und Lebensführung in die Hand nimmt. Was ihr freilich sehr viel mehr Spaß macht, sind die Dienstreisen des hochrangigen Gemahls, den sie begleitet. Die beiden sind mit den Privilegien ihres Standes unterwegs, werden von den holländischen Statthaltern und den javanischen Fürsten bewirtet und von den einfachen Javanern mit tiefem Diener begrüßt. Therese kommt so in abgelegene Regionen, die allenfalls von Naturforschern wie den Zeitgenossen Franz Wilhelm Junghuhn und Heinrich Zollinger betreten werden. In der frischen Luft der vulkanischen Höhen des östlichen Javas fühlt sich Therese sehr viel wohler als im von muffiger Etikette eingeengten Gesellschaftsleben der Mächtigen und Möchte-gern-Mächtigen. Stoff genug für die kluge, scharfsinnige Beobachterin. Sie nimmt sich die Zeit zur schriftstellerischen Arbeit, verfasst eine Vielzahl von Briefen und Berichten, erlaubt sich die kritische Distanz, bleibt aber selbstverständlich eine Frau, die zur kolonialen Oberschicht gehört.
Bitter beklagt sie sich über mangelnde geistige Anregung in diesen Kreisen: „Interesse, an Kunst, Wissenschaft oder gelehrtem Austausch, an belebtem oder unterrichtendem Gespräch kommt auf Surabaya nicht vor, ja, ich bin gezwungen einzugestehen, dass der europäische Egoismus hier kein geistiges Leben zu entwickeln vermag. In der Ferne taucht Indien zauberhaft auf. In der Nähe und im täglichen Beschauen zerfällt es ebenso sehr in Stücke als der Mahomedanismus, dessen hiesige Basis ungebildete Priester sind. Hier geht jeder nur dem einen Ziel nach: dem Geld, dem Gewinn.“
Widersprüchlich bleibt ihre Einschätzung kolonialen Machtstrebens; so einerseits: „Die Europäer halten sich in Achtung durch ihr moralisches Übergewicht und durch die Ruhe und Gerechtigkeit, mit welcher insbesondere die Regierung den Javanern gegenüber verfährt. Die Polizei ist äußerst milde. Mancher Strafwürdige wird frei gelassen oder nicht einmal festgesetzt.“ Und andererseits, was das angebliche „moralische Übergewicht“ betrifft: „Es ist hier mancher gestern groß gewesen, der heute klein ist. Und zwar oft nicht aus eigener Schuld, sondern durch Intrige, diesen Krebsschaden des Beamtenlebens. Jeder denkt an sich. Jeder ist darauf eingewiesen, dem anderen zu schaden oder ihn zu verdrängen.“
Die großen politischen Zusammenhänge entziehen sich der Chronistin, die einiges erfährt und ahnt, vieles aber auch nicht wahrhaben will, weil sie ja selbst Teil des Systems ist, das auf Unterdrückung und Ausbeutung der Javaner ausgerichtet ist. Immerhin lebt sie in einer Zeit, da die Zwangsarbeit für die gewinnträchtigen Exporte, das so genannte „Cultuurstelsel“, für die Bevölkerung katastrophale Folgen hat. Ein Multatuli macht seine Erfahrungen, die er 1860 in sein weltberühmtes Buch „Max Havelaar“ einbringen wird und damit dieses Repressionsregime infrage stellt.
Ohne den historischen Bezug bliebe vieles von Thereses Aufzeichnungen für den heutigen Leser blass und unvollständig, hätte die Herausgeberin nicht sorgfältig und penibel bearbeitet und erläutert. Renate Sternagel kennt Java. Sie arbeitete am Goethe-Institut in Bandung, das ihr Mann, Dr. Peter Sternagel, in den 1970er und 90er Jahren leitete. Die eigenen Erfahrungen in Indonesien, die kritische Distanz und das Erleben des Alltags, der sich ja von den Eindrücken einer Durchreise sehr unterscheidet, und ihre persönliche Beziehung zu den Menschen – all das kommt der Ausgabe der Briefe zugute. Nur mit diesem Hintergrund war es möglich, nicht nur die Berichte der Therese von Bacheracht herauszugeben, sondern sie zu kommentieren, historisch einzuordnen und in den Bezug zur Entstehungsgeschichte und zum gegenwärtigen Verständnis zu setzen. Renate Sternagel hat eine editorische Leistung von akribischer Sorgfalt vollbracht. Mit ihrer Einführung, 265 Anmerkungen und 15 Kurzbiografien werden die Briefe aus Java auch für den weniger vorgebildeten aber neugierigen heutigen Leser zugänglich. Der Index macht das Buch zur benutzbaren historischen Quelle.
Mit den Fußnoten öffnet Renate Sternagel eine zusätzliche Dimension zur Einordnung der Briefe. Zum einen wird der private, ja, intime Hintergrund ausgeleuchtet. Zum anderen werden die Aufzeichnungen durch Zitate aus den Berichten anderer Europäer ergänzt, was gelegentlich Einblicke in völlig unterschiedliche Wahrnehmung desselben Ortes, desselben Gegenstandes erlaubt. Erstmals liegen die Briefe aus Java nun als Buch vor. Renate Sternagel transkribierte das eigenhändige Manuskript der Autorin, das längst mehr oder weniger vergessen in der Staatsbibliothek Berlin aufbewahrt wird. Eine Veröffentlichung war Therese zu Lebzeiten nicht mehr vergönnt.
In den Briefen teilt sich eine sensible, gebildete Frau mit, über die längst die Stürme der Zeiten hinweggegangen sind, deren einfühlsame Art zu schreiben aber frisch und lebendig geblieben ist. Wie ein melancholischer Grundton durchweht ein Gefühl ihre Aufzeichnungen: „Nur eines schwebt mir beständig vor Augen…ob ich es zu nennen brauche? Es ist die Sehnsucht nach Europa, die Sehnsucht nach den Meinen. Sie steht mit mir auf, sie geht mit mir zur Ruhe; sie schleicht sich in meine Träume. Sie wird schweigend oder redend mich über den Ozean zurück in die Heimat bringen.“
Dieser Wunsch geht nicht mehr in Erfüllung. Zusammen mit dem in Batavia ansässigen Apotheker Dr. Heinrich Bürger unternimmt sie im September 1852 ihre letzte Reise nach Mitteljava und zur javanischen Südküste. Es war wenige Monate vor der geplanten Rückkehr nach Deutschland. Therese kränkelt bereits, ist geschwächt und hat offenbar Lebenskraft und Lebensmut verloren. In der Nacht vom 15. zum 16. September 1852 stirbt sie in Cilacap. Renate Sternagel merkt an: „Es ist ein Tod, der trotzdem Fragen aufwirft, denn es hat den Anschein, als wäre er vermeidbar gewesen, wenn Therese nur gewollt hätte.“
Therese von Bacheracht: „Heute werde ich Absonderliches sehen“, Briefe aus Java 1850 – 1852, herausgegeben von Renate Sternagel, 325 Seiten, Ulrike Helmer-Verlag, Königstein/Taunus, 2006, EURO 24,90.