von Petra Martin
1. Wie der Kuskus nach Sulawesi kam
Kuskuse gehören zur Gattung der Kletterbeutler (Phalanger). Die nachtaktiven Baumbewohner haben einen zum Greiforgan ausgebildeten Schwanz. Sie ernähren sich von Blättern, gelegentlich auch von Früchten, Insekten, Eiern und Jungvögeln. Etwa 15 verschiedene Arten sind bisher bekannt. Biogeographisch sind die Kuskuse eigentlich in Neuguinea/Australien heimisch gewesen. Heute bewohnen sie jedoch ein Areal, das von Sulawesi im Westen bis zu den Salomonen im Osten reicht. Zu den weit verbreiteten Arten zählen der Graue Kuskus (Phalanger orientalis) und der Tüpfelkuskus (Phalanger maculatus). Das kleinste und das größte Tier der Gattung, der Celebeskuskus (Phalanger celebensis) und der Bärenkuskus (Ailurops ursinus), mit 30 cm bzw. 65 cm Kopf-Rumpf-Länge bewohnen Sulawesi und benachbarte Inseln. Doch wie konnten sich die schwimmunfähigen Kletterbeutler so weit ausbreiten? Für dieses biogeographische Phänomen gibt es drei Erklärungen.
Zunächst steht die Verbreitung der Kuskuse in direktem Zusammenhang mit der geologischen Geschichte der indoaustralischen Region. Aufgrund plattentektonischer Vorgänge sind vor Millionen von Jahren Teile des neuguineisch-australischen Kontinentalschelfs abgebrochen und westwärts gedriftet. Die aus diesen Kontinentalfragmenten entstandenen Inseln haben daher eine melanesische Fauna. Auf ihnen sind die Phalanger heimisch, wobei die lange Isolierung vom Kontinentalschelf zur Bildung neuer Arten führte.
Doch auch der Zufall kann bei der Ausbreitung der Phalanger eine Rolle gespielt haben. Es gilt als nicht unwahrscheinlich, dass nach starken tropischen Wirbelstürmen Tiere auf Treibgut verdriftet wurden und sich so auf anderen Inseln ansiedelten. Nachdem vor zehn Jahren Biologen in der Karibik die Verdriftung von Leguanen über eine Distanz von 300 km dokumentierten, wird diese Möglichkeit auch für andere Faunengebiete in Betracht gezogen. Im Falle der Phalanger wird sie dennoch die Ausnahme sein.
Einen entscheidenderen Anteil an der Verbreitung der Kuskuse hat der Mensch selbst. Mit der Besiedlung der östlichen indoaustralischen Region beginnend vor etwa 40.000 Jahren nahm er auch Einfluss auf die Tierwelt durch Jagd, Domestikation und den Aufbau von Handelsnetzen. Archäologische Quellen belegen, dass die Phalanger als Fleischlieferanten geschätzt wurden und als Haustiere oder im Rahmen von Austauschbeziehungen in Regionen gelangten, in denen sie ursprünglich nicht vorkamen. Auf diesem Wege hat z. B. der Graue Kuskus bereits vor 10 – 20.000 Jahren Neu-Irland erreicht. Im Südwesten der Insel Sulawesi ist er durch Knochenfunde für das Holozän belegt.
Für den Bärenkuskus steht zwar ein archälogischer Beweis noch aus, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass auch er durch Menschen nach Sulawesi und auf die nördlich vorgelagerten Talaud-Inseln verbracht wurde. Von allen Phalangern gibt der Bärenkuskus den Zoologen die größten Rätsel auf. Morphologisch gesehen handelt es sich um die primitivste Art, die im Gegensatz zu den anderen auch tagaktiv ist. Seine genauere Einordnung bedarf jedoch noch weiterer Forschung.
Für die Talaud-Insulaner sind indes weder die biogeographischen noch die morphologischen Fragen zum Bärenkuskus oder us’se, wie er in der Lokalsprache heißt, von Bedeutung. Hier lautet die Frage ausschließlich, ob er verspeist werden darf oder nicht. Den Bewohnern des Dorfes Moronge gilt der Bärenkuskus als heilig. Einer hier erzählten Legende zufolge rief vor etwa 15 Generationen ein gewisser Raja Madunde mittels magischer Kräfte alle Tiere in einem Krieg gegen ein verfeindetes Dorf zu Hilfe. Dank der Unterstützung der us’se war er siegreich. Seither werden die Kletterbeutler verehrt. Noch vor wenigen Jahren sah man in Moronge Bärenkuskuse, die sowohl in Käfigen gehalten wurden als auch unbehelligt im Dorf herum liefen. In den Nachbardörfern sind sie allerdings eine willkommene Bereicherung der Speisekarte.
2. Der Koboldmaki und sein deutscher Entdecker
Seit dem Paläozän, d.h. seit ca. 65 Millionen Jahren sind die Tarsiidae als eine Teilordnung der Halbaffen nachgewiesen. Ihre einzigen rezenten Vertreter sind die Koboldmakis oder Gespenstaffen. Die lichtscheuen Tiere leben paarweise im tropischen Wald einiger Inseln des malaiischen Archipels. Ihren Namen erhielten sie, weil sie zum einen den Kobolden aus der phantastischen Geisterwelt gleichen und sich zum anderen „koboldartig“ schnell fortbewegen. Die nur 40 cm langen Säugetiere können etwa 60 cm hoch und 2 Meter weit springen. Mit ihren beweglichen Ohren und leistungsstarken Augen sind sie ideal an ein nachtaktives Dasein angepasst.
Die Art Tarsius spectrum sangirensis Meyer kommt nur auf den zwischen Sulawesi und den Philippinen gelegenen Sangihe-Inseln vor. Seine nächsten Verwandten leben auf Sulawesi, mit dem die Sangihe-Inseln einst durch eine Landbrücke verbunden waren.
Adolph Bernhard Meyer (1840-1911) hat sich um die Erforschung der Tierwelt im indomalaiischen Archipel sehr verdient gemacht. Der gebürtige Hamburger, der zwischen 1862 und 1870 an verschiedenen europäischen Universitäten Medizin und Naturwissenschaften studiert hatte, besuchte zwischen 1870 und 1873 als Forschungsreisender zweimal dieselbe Region, in der zehn Jahre zuvor Wallace gearbeitet hatte. Umfangreiche Sammlungen – 17.000 zoologische Exemplare – brachte A.B. Meyer nach Deutschland mit. Darunter befanden sich prachtvolle Paradiesvögel, von denen er selbst einige Arten als neu erkannt und beschrieben hatte.
Die Reisen in der „Wallacea“, wie das Faunengebiet heutzutage genannt wird, stimulierten Meyer, das Werk des ihm persönlich bekannten A.R. Wallace „The geographical Distribution of Animals“ aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen.
1874 wurde Meyer die Leitung des Naturhistorischen Museums in Dresden übertragen, das dann in „Königlich Zoologisches und Anthropologisch-Ethnographisches Museum“ umbenannt wurde. Diesem stand A.B. Meyer bis 1905 vor. Während seiner Amtszeit verbesserte er die Kenntnisse über die Wallacea auch auf säugetierkundlichem Gebiet. Unter den von ihm entdeckten und beschriebenen bis dahin noch unbekannter Tieren befindet sich auch die Tarsius-Art von den Sangihe-Inseln.
Literatur:
Flannery, Tim: Mammals of the South-West Pacific & Moluccan Islands. Reed Books, Australian Museum 1995
Meyer, Adolph Bernhard: Säugethiere vom Celébes- und Philippinen-Archipel I+II. in: Abbhandlungen und Berichte des Königl. Zoologischen und Anthropologisch-Ethnographischen Museums zu Dresden, Jg. 1896/97, Bd. VI, Nr. 6, Tafel XV (Kuskus) und Jg. 1898/99, Bd. VII, Nr. 7, Tafel III (Tarsius)