von Rüdiger Siebert

Seit sich die Europäer für Südostasien interessierten und im 16. Jahrhundert gen Osten vordrangen, die berühmten Gewürzinseln – die Molukken – zu entdecken und auszubeuten, waren stets auch Deutsche beteiligt. Der in der Region dominierende Staat, der sich schließlich für mehr als drei Jahrhunderte im indonesischen Archipel behauptete und als Kolonialmacht bis in die 1940er Jahre das Sagen hatte, waren die Niederlande. Nach Jahrzehnten der Aufstände gegen die spanische Herrschaft hatten sich die Niederländer vom Hause Habsburg befreit und 1581 eine eigene Republik gegründet. Für den unabhängigen neuen Staat war der Weg frei, selbst in der Welt eine Rolle zu spielen. Ironie der Geschichte – über die die Menschen Indonesiens alles andere als erfreut sein konnten – : das kleine Land an der Atlantikküste, das gerade noch die Bevormundung einer Vormacht zu spüren bekommen hatte, begann nun seinerseits, einer fernen Inselwelt seinen Stempel aufzudrücken.
Mit der Gründung der VOC, der Vereenigden Oostindischen Compagnie, im Jahre 1602 wurde ein mächtiges und profitables Instrument geschaffen, das sowohl Handel und wirtschaftliche Nutzung der indonesischen Schätze ermöglichte als auch die politische Einflussnahme auf Wohl und Wehe der Menschen im Archipel durchsetzte. Die VOC war eine der gewinnträchtigsten Geschäftsgründungen aller Zeiten und eine Handelsgesellschaft mit zunehmend staatlichen Befugnissen. Von den 22.000 Hochseeschiffen, die im 17. Jahrhundert in europäischen Häfen registriert waren, sollen 16.000 im Auftrag der VOC gesegelt sein. Damit verfügten die Niederlande über einen Handelskonzern, der vom Anbau tropischer Früchte, vom Transport der Waren und dessen militärischer Sicherung bis zur Verwaltung im Erzeugerland und der Vermarktung in Europa alle entscheidenden Bereiche souverän in Händen hielt. Die VOC setzte das in Gang, was wir heute Globalisierung nennen – mit allen negativen Begleiterscheinungen.

Söldner und Fachleute gesucht

Eines war von Anfang an klar: die Niederlande verfügten bei ihrer relativ geringen Bevölkerungszahl gar nicht ausreichend über die erforderlichen Männer und Frauen, die die Interessen in Indonesien durchsetzen konnten. Zu Zeiten der VOC nicht und auch später bei der Kolonisierung Indonesiens nicht. Gefragt waren daher auch und als Nachbarn in besonderem Maße die Deutschen. Die VOC war eine Art Fremdenlegion. Die indonesische Historikerin Mona Lohanda in Jakarta hat sich mit dem internationalen Aspekt der VOC beschäftigt und bemerkt: „Es ist schon außergewöhnlich. Unter den VOC-Leuten waren viele Europäer, keinesfalls nur Holländer. Vor allem Deutsche, Schotten, Polen, Schweizer, Franzosen. Im Militärdienst der angeheuerten VOC-Soldaten kam die Hälfte aus deutschen Landen.“
Der aus Deutschland stammende Adolf Heuken SJ, der seit langem in Jakarta lebt und ein Kenner der Kolonialgeschichte ist, stellt dazu fest: „Seit Beginn der VOC gab es Deutsche in allen Schichten. Einfache Soldaten, Schriftführer; aber auch Kaufleute, Offiziere. Einige hervorragende Gestalten deutscher Herkunft waren Gouverneure, der bekannteste unter ihnen van Imhoff. Es gab aber auch Generäle und andere Fachleute, die nach Batavia (das heutige Jakarta) gingen – oder nach Ambon. Zum Beispiel Georg Eberhard Rumphius, ein Biologe, der verschiedene Bücher geschrieben hat, ziemlich außergewöhnlich in jener Zeit. Es gab auch Ärzte, Pfarrer, Priester – unter ihnen Pfarrer Moor, der die erste Sternwarte in Batavia errichtet hat. Es gab auch einen Sergeanten aus Hessen, dessen Töchter mit hochrangigen VOC-Beamten verheiratet waren und sogar die Ehefrauen von Generalgouverneuren wurden.“

Acht Lebensläufe in bewegten Zeiten

Wer waren diese Deutschen? Woher kamen sie? Was taten sie? Exemplarisch werden auf den folgenden Seiten acht deutschstämmige Persönlichkeiten vorgestellt, deren Lebensläufe den mehr als vierihundertjährigen holländisch-deutsch-indonesischen Beziehungen im historischen Kontext ein Gesicht geben. Es waren ja nicht anonyme, längst verschollene Figuren, die diese Geschichte belebten, sondern einzelne Menschen mit all ihren Träumen, Machtgelüsten, Ambitionen, Leidenschaften, Widersprüchen und Enttäuschungen, mit ihren Erfolgen und ihrem Scheitern. Der zeitgeschichtliche Bogen reicht vom 16. Jahrhundert bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges, der auch das Ende der Kolonialherrschaft einleitete: von dem bereits erwähnten Gustaf Wilhelm Baron von Imhoff (Gustaaff Willem Baron van Imhoff, so der hollandisierte Name), der in Indonesien als Generalgouverneur rigorose Fremdbestimmung verkörperte, bis hin zu Walter Spies, der als Künstler auf Bali seine Erfüllung fand und als einer der deutschen Männer, die die Holländer internierten, unter menschenverachtenden Umständen 1942 ums Leben kam.
Allen acht hier kurz porträtierten Männern ist trotz historischer Abfolgen und höchst unterschiedlichen Temperamenten und Qualitäten eines gemeinsam: Indonesien ist für sie eine Herausforderung geworden, die ihr Leben zutiefst beeinflusste. Jede der acht Biografien ist eine Besonderheit, die nur im Spannungsfeld zweier Kulturen, zweier Kontinente so und nicht anders sich entwickeln konnte: herausragend aus dem Heer der Namenlosen, die mit deutscher Abstammung nach Indonesien kamen und längst vergessen sind. Einige sind zu Persönlichkeiten herangereift, die aktiv im öffentlichen Geschehen Indonesiens wirken konnten. Andere sind an javanischer Natur und politischen Begleitumständen zugrunde gegangen. Bewährungsprobe im Ausnahmezustand. Fast jeder der hier skizzierten Lebensläufe könnte dem Literaten als Vorbild für einen Roman gereichen: prall gefüllt mit Abenteuer, Schicksalsschlägen, Irrtümern, Höchstleistungen und Versagen. Die Auswahl steht für die jeweilige Epoche, für berufliches Tun und in repräsentativer Individualität für die vielen Deutschen in Indonesien.

Der Erneuerer: Gustav Willhelm Baron von Imhoff, Generalgouverneur der VOC (1705 – 1750)

Er wurde am 8. August 1705 in der alten ostfriesischen Hafen- und Handelsstadt Leer geboren und gehörte deutschem Adel an, der sowohl im Fränkisch-Schwäbischen als auch im Norddeutschen beheimatet war. Der Junge wuchs im Geiste internationaler Verflechtungen auf. Die Nachbarschaft zu den Niederlanden beeinflusste sein Weltbild. In Diensten der VOC sollte sich Imhoffs Wunsch erfüllen, in die große weite Welt zu gehen.
1725 landet Imhoff in Batavia und startet eine für einen Deutschen außergewöhnliche Karriere. Er beginnt als Unterkaufmann, wird bereits im folgenden Jahr im Rang eines Kaufmanns der Leiter des allgemeinen Soldkontors, wenig später Oberkaufmann und außerordentlicher Indienrat. Aufgrund seiner adligen Herkunft und seiner Beziehungen in Amsterdam erfreut er sich auch in Batavia dessen, was im modernen indonesischen Sprachgebrauch „koneksi“ genannt wird: gute Verbindungen zu einflussreichen Leuten. Die standesgemäße Hochzeit gehört dazu. Er heiratet die Tochter des früheren Generalgouverneurs Huysman van der Hille. 1730 wird er zum Wasserfiscal erkannt, zum Hafeninspektor. Es ist eine einflussreiche Stellung, die dem jungen Paar die finanziellen Möglichkeiten standesgemäßen Lebens bietet.
Bis er das höchste Amt in der VOC erreichen konnte, musste der Mann aus dem norddeutschen Leer freilich einen Machtkampf bestehen, der den spannungsvollen Zustand der Kompanie zu seiner Zeit kennzeichnete. Wer konnte, versuchte sich zu bereichern – möglichst an den Regeln der VOC vorbei. Imhoff nimmt die Herausforderung an und steuert in seinem Amt dagegen. Die Blütezeit hatte die VOC bereits hinter sich. Korruption war weit verbreitet. Es sollte ein aussichtsloser Kampf werden. Daß Imhoff überhaupt antrat, den Augiasstall namens VOC reinigen zu wollen, gereicht ihm zur Ehre. Er mischt sich in die inneren Angelegenheiten der Kompanie ein und macht sich verständlicherweise Feinde, steigt aber auf der Karriereleiter stetig nach oben.
1736 wird er zum Gouverneur des ebenfalls von der VOC beherrschten Ceylon ernannt, bleibt aber dem Generalgouverneur in Batavia unterstellt. In Ceylon (heute Sri Lanka) kann Imhoff allein entscheiden. Erstmals kann er Diplomatie, Geschäft und Verwaltung nach eigenen Vorstellungen bestimmen. Als er 1738 nach Batavia zurückbeordert wird, ist Adrian Valckenier zum Generalgouverneur benannt worden. Imhoff gehört nun als Rat dem engsten Machtzirkel an und ist für die militärische Sicherheit zuständig. Die beiden Männer sehen sich bald in ein Duell verwickelt, bei dem es um Leben und Tod ging. Das gespannte Verhältnis zwischen Holländern und ortsansässigen Chinesen und die Frage, wie es zu einer politischen Lösung ihrer Interessenskonflikte kommen könnte, macht aus Valckenier und Imhoff unversöhnliche Feinde. Der Holländer Valckenier vertritt eine Diskriminierungspolitik gegenüber den Chinesen und setzt auf militärische Gewalt; der Deutsche Imhoff plädiert für Mäßigung, trägt aber auch zur Eskalation der Spannungen bei.
Am 11. Oktober 1740 explodiert das Pulverfaß. Holländische Fanatiker unter der Bevölkerung Batavias zünden den Chinesen die Dächer über den Köpfen an. Bei dem vom entfesselten Mob ausgelösten Blutbad kommen schätzungsweise 10.000 Chinesen ums Leben. Zu jener Zeit beherbergten Batavias Mauern insgesamt etwa 80.000. Imhoffs Rolle in dieser Tragödie ist umstritten. Auch er läßt schießen. Valckenier verliert die Nerven, offenbar seinem Amt nicht gewachsen. Um sich später zu entlasten, macht er Imhoff zum Sündenbock, läßt ihn und zwei weitere Räte verhaften und schickt sie unter Anklage der Amtsanmaßung nach Holland. Dort soll ihm der Prozeß gemacht werden. Als Gefangener, entmachtet und gedemütigt, muß er Batavia verlassen. Daß sich das Blatt längst zu seinen Gunsten gewendet hatte, in dramatischer Regie einer antiken Tragödie ähnlich, konnte er nicht ahnen. Im fernen Amsterdam war bereits van Imhoff zum neuen Generalgouverneur benannt worden, was wegen der langen Übermittlungswege in Batavia niemand wissen konnte. In Holland werden ihm für sein neues Amt weitreichende Vollmachten für Reformen der VOC zugesprochen. Das Schiff, mit dem Imhoff 1742 von Texel zurück nach Batavia segelt, war eigens für ihn gebaut worden und erhält den programmatischen Namen „Hersteller“ – im Sinne von Erneuerer. Als 40jähriger, auf dem Höhepunkt seiner Macht, erreicht er am 28. Mai 1743 wieder Batavia.
Der neue Generalgouverneur packt seine Aufgabe als Reformer energisch an und öffnet Batavia dem internationalen Handel, liberalisiert die Ein- und Ausfuhren, indem er das VOC-Monopol lockert. In den sieben Jahren bis zu seinem Tod erweitert Imhoff den Machtbereich der VOC. Er greift in die Erbfolge der einheimischen Fürsten ein. Divide et impera. Aus der Handelsorganisation wird mehr und mehr eine Kolonialmacht. Er reformiert die Verwaltung, richtet ein Postamt und eine Kreditbank ein, gründet eine Marineschule und gründet Bildungsstätten für breitere Bevölkerungsschichten. Während seiner Amtszeit erscheint die erste regelmäßige Zeitung Indonesiens.
Imhoff muß freilich erkennen, daß es für eine Reinigung der VOC von innen heraus bereits zu spät ist. Aus dem Handelsunternehmen war eine Art privatwirtschaftlich regiertes Kolonialreich geworden. Die VOC verkam immer mehr zu einem Selbstbedienungsladen ihrer Inhaber und Mitarbeiter. Die Abkürzung VOC hatte einen neuen Sinn erhalten: „Vergaan onder Corruptie“ hieß das nun in der holländischen Sprache: zugrundegegangen an Korruption. Imhoff konnte den Niedergang nicht verhindern. Darin liegt auch die menschliche Tragödie des Gustaaff Willem Baron van Imhoff. Adolf Heuken in Jakarta resümiert: „Van Imhoff hatte während seiner relativ kurzen Amtszeit von 1743 bis 1750 viele Reformen durchgeführt. Er wollte alles verbessern. Er hat zwar vieles erreicht, aber weil es zu viel war und zu schnell ging, misslangen viele seiner Reformen. In Batavia hatte er den Ruf, in der Endzeit der VOC als Erneuerer aufzutreten. 50 Jahre später wurde die VOC aufgelöst wegen all der Missstände. Wären die Reformen van Imhoffs erfolgreich gewesen, hätte das unrühmliche Ende der VOC immerhin verzögert werden können.“
Imhoff stirbt am 1. November 1750 in Batavia. Am 31. Dezember 1799 übernimmt der niederländische Staat die völlig heruntergewirtschaftete VOC. Die eigentliche Kolonialzeit beginnt.

Der Humboldt von Java: Franz Wilhelm Junghuhn, Arzt und Naturforscher (1809 – 1864)

Oberhalb der westjavanischen Stadt Bandung steht in vulkanischer Landschaft nahe des Dorfes Lembang ein weißer Obelisk. Die Daten an dem schmucklosen Grab umreißen ein Leben, das eine Fülle an Stoff gleichermaßen für die universitären Bibliotheken wie für die Abenteuerliteratur erbrachte: „Dr. Franz Wilhelm Junghuhn, geboren te Mansfeld – Pruisen, 26. Oktober 1809, overleden te Lembang, 24. April 1864.“ Ringsherum stehen Laubbäume, die dem Unkundigen nicht als etwas Besonderes auffallen würden. Es sind „Chinarinden-Bäume“. Ein Schlüsselwort im bewegten Leben des Franz Wilhelm Junghuhn. Wie kam er aus dem damals zu Preußen gehörenden Mansfeld nach Java, das nun zentrale Insel von Niederländisch Ostindien war?
Er stammt aus einer Mediziner-Familie. Weil er sich jedoch schon früh zur Botanik und zu den Naturwissenschaften hingezogen fühlt, gibt es Ärger im elterlichen Hause. Er ist unangepasst, neigt zu spontanen Handlungen, unternimmt im Frühjahr 1830 sogar einen Selbstmordversuch. In Halle an der Saale und später in Berlin studiert er Medizin und betreibt botanische Forschungen. Die Teilnahme an einem Duell, das für beide Streithähne glimpflich verlief, sollte für ihn verhängnisvoll werden. Weihnachten 1831 wird er verhaftet und in das berüchtigte Militärgefängnis Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz gebracht. Das Urteil: zehn Jahre Haft. Nach 20 Monaten gelingt ihm die Flucht nach Belgien, von dort nach Frankreich. Er schließt sich in Algerien der Fremdenlegion an. Rastlos, unstet, getrieben. Wieder Flucht. In Paris lernt er den holländischen Botaniker Christian Hendrik Persoon kennen. Der empfiehlt ihm, als Arzt nach Niederländisch Ostindien zu gehen. Zur Vorbereitung reist er nach Holland, besteht in Leiden das medizinische Examen und wird am 12. Januar 1835 zum Militärarzt III. Klasse ernannt. Zuvor erfährt er, daß er bereits kurz nach seiner Flucht aus der Festung Ehrenbreitstein begnadigt worden war. Das eigentliche Abenteuer seines Lebens beginnt.
Im Kolonial- und Militärdienst herrscht Mangel an Fachleuten. Das erklärt, warum weiterhin wie zu VOC-Zeiten auch Deutsche mit speziellen Kenntnissen und Fertigkeiten willkommen sind: Seeleute, Soldaten, Handwerker, Schreiber, Kaufleute, Wissenschaftler, Vermessungsingenieure, Forstleute, Geistliche und eben auch Ärzte. Am 12.Oktober 1835 landet er in Batavia, wo er in kolonialen Diensten der Holländer als „Officier van Gezondheid“ arbeitet, bald aber seiner wahren Leidenschaft frönen kann: der wissenschaftlichen Bestandsaufnahme der geografischen und geologischen Beschaffenheit Indonesiens.
Der Lazarettdienst, zuerst in Batavia, dann auch in Semarang, behagt dem jungen Militärarzt überhaupt nicht. So oft er kann, streift er durch die Lande, sammelt Pflanzen, besteigt Vulkane, die noch kein Europäer jemals aus der Nähe gesehen, geschweige denn erklommen hatte. Und er schreibt! Dutzende, Hunderte von Seiten. Schreiben in einer wilden Leidenschaft, genauer: beschreiben wird zum Inhalt seines Lebens. Allein dieser Fleiß beeindruckt. Man hat ausgerechnet, daß Junghuhn über ein Jahrzehnt lang durchschnittlich pro Woche gut vier Druckseiten zu Papier gebracht hat. Handschriftlich, versteht sich. Er ist ein Einzelgänger, umtriebiger Erkunder, Forscher, Sammler. Sein Chef Dr. E.A. Fritze, ebenfalls deutscher Abstammung, Leiter des Medizinalwesens für Niederländisch-Ostindien in Batavia, erkennt die Begabung des jungen Landsmannes und ernennt ihn zu seinem naturwissenschaftlichen Begleiter. Nun kann Junghuhn, frei von störenden Pflichten in Krankenstuben, ganz seiner Passion folgen: der Botanik, der „edelsten aller Wissenschaften“, wie er sie lobpreist.
Er beginnt 1836 mit seinen Untersuchungen auf Java, setzt die Arbeiten zwischen 1840 und 1842 im Batakland im Norden Sumatras fort und widmet sich danach bis 1848 dem Studium Javas. Es sind Jahre äußerster Anstrengung. Max C. P. Schmidt schreibt dazu in seiner Junghuhn-Biografie von 1909: „Rechnet man alle Reisezeiten zusammen, so war er neun Jahre und dreieinhalb Monate unterwegs. Das allein ist schon eine enorme Leistung. … Mehr als ein Begleiter, der nur einige Tage, Wochen oder Monate mit ihm ging, wird schwach und bleibt zurück. Er aber besteht alle diese Kraftproben. Er friert und schwitzt, hungert und dürstet, rutscht auf schlüpfrigen Baumstämmen über tiefe Spalten, kriecht auf dem Bauch an den Rand schwindelnder Kratertiefen. Er zeichnet und sucht, beobachtet und sammelt, sinnt und forscht.“
Junghuhn ist Einzelgänger, kantig, zugeknöpft. Ein Rauhbein. Nicht so sehr im Gespräch weiß er sich mitzuteilen als vielmehr in seinen Schriften und wissenschaftlichen Arbeiten. Er verfasst die erste Monographie der Wissenschaftsgeschichte über das Batak-Land. Er ist der erste Mensch, der Java systematisch durchwanderte und trägt die Erkenntnisse in seinem Lebenswerk zusammen: „Java, seine Gestalt, Pflanzendecke und innere Bauart.“ Die dreibändige Zusammenstellung seiner Forschungen schreibt er zwischen 1848 und 1851 auf Holländisch in den Niederlanden, wo er endlich Urlaub machen kann, ein nun bereits gesundheitlich geschwächter Mann.
Als „Humboldt von Java“ ist Junghuhn schon zu seinen Lebzeiten in ehrenvoller Anerkennung seiner Arbeiten bezeichnet worden. Während seiner Jahre in Europa ist er in Fachkreisen als Gesprächspartner geschätzt. Der 79jährige Alexander von Humboldt, mit dem ihn die Verehrer vergleichen, schreibt am 30. April 1848 in einem Brief an Junghuhn: „…die hohe Achtung zu bezeugen, welche die Arbeiten des Herrn Doctor Junghuhn mir und meinen Freunden eingeflößt haben.“ Generationen von Wissenschaftlern, Kolonialbeamten und Wirtschaftsinvestoren profitieren von Junghuhns Grundlagenforschung. Er fertigt die erste topografische Karte Javas an; Maßstab 1 : 350.000. Der wirtschaftlichen Erschließung und selbstverständlich auch der kolonialen Ausbeutung Javas wiesen seine Daten die Richtung.
Den Kolonialismus stellt er nicht in Frage; für solche grundsätzliche Auseinandersetzung war die Zeit noch nicht reif, obwohl sich auch in den Niederlanden die Kritiker zu Wort meldeten. Junghuhn benennt vorwurfsvoll die Fehlleistungen einzelner Beamter, verurteilt aber nicht das von den Holländern rigoros durchgesetzte System ihrer Herrschaft. Letztlich profitiert er ja selbst davon.
1855 kehrt Junghuhn nach Java zurück und wird mit einer völlig neuen Aufgabe betraut. Auf abenteuerliche Weise und illegal waren aus Peru die Samen und Setzlinge von Chinarinden-Bäumen nach Java geschmuggelt worden. Deren Rinde war als Grundsubstanz für die Behandlung von Malaria bekannt. Die Nutzung in großem Umfange verspricht ein profitables Geschäft.
Als Inspektor der „Gouvernementskinacultuur“ läßt Junghuhn rund um Lembang in den kühlen, regenreichen Höhen über Bandung die Plantagen anlegen. Im Ort selbst siedelt er sich mit Frau und kleinem Sohn an. Doch die Sterne sind ihm nicht mehr gewogen. Fehlschläge, Missmanagement, gesundheitliche Probleme, der Neid der holländischen Kollegen verdüstern die letzten Lebensjahre. Der geniale Forscher erweist sich in der Rolle des Kultivators und Organisators als überfordert. Die körperlichen Kräfte nehmen ab. Die Tropen fordern ihren Preis. Früh gealtert und verbittert zieht sich Junghuhn in den engsten Familienkreis zurück. Den eigentlichen Erfolg seiner Arbeit, die Jahre später ertragreichen Pflanzungen und die daraus entstehende Pharma-Industrie in Bandung, durfte er nicht mehr für sich beanspruchen. Er stirbt an einem Leberabszeß. Franz Wilhelm Junghuhn wurde 55 Jahre als. Seine Frau überlebte ihn um fast fünf Jahrzehnte; sie stirbt 1916 als 88jährige in Den Haag. Dr. Karl Helbig aus Hildesheim, der unter ähnlich schwierigen Bedingungen im 20. Jahrhundert seine eigenen geografischen Untersuchungen in Indonesien betrieb, nennt den Fachkollegen Junghuhn den „größten deutschen Forscher auf malaiischem Boden“.

Der Apostel der Batak: Ludwig Ingwer Nommensen, Missionar (1834 – 1918)

Christliche Zeichen allerorten. Auffallend wie nirgends sonst in Indonesien. Die Vielzahl der kleinen protestantischen Kirchen, die biblischen Symbole auf den bombastisch mit Zement und Backsteinen errichteten Grabmalen der Friedhöfe, der stimmgewaltige Gesang zur Ehre Gottes bei sonntäglicher Messe – alles das wirkt heute im Batakland im nördlichen Sumatra so selbstverständlich und reicht doch in den Fundamenten nicht einmal eineinhalb Jahrhunderte zurück. Diese Anfänge sind wesentlich mit einem Mann verbunden, der 1861 aus Norddeutschland hierher gekommen war: Ludwig Ingwer Nommensen. Wie kein anderer aus der Frühzeit der Missionierung ist er im Gedächtnis der Bataker lebendig geblieben; ein Name, den noch heute fast jeder kennt.
Daß Ludwig Ingwer Nommensen einmal so weit in die Welt gehen würde, die Botschaft des Christentums zu verbreiten, war ihm wahrlich nicht an der Wiege gesungen worden. Die stand auf der Hallig Nordstrand ganz im Norden Deutschlands; ein Gebiet, das zur Zeit seiner Geburt am 6. Februar 1834 noch zu Dänemark gehörte. Der Junge muß früh erfahren, was Entbehrung, Hunger, harte Arbeit, Geldmangel bedeuten. Die Schulbildung ist dürftig. Ein Unfall, der die Beine verletzt, zwingt den 12jährigen monatelang ans Krankenlager. In dieser Zeit der Hoffnungslosigkeit keimt seine Vision, wenn er jemals wieder auf die Füße komme, den Heiden das Christentum zu bringen – wie das damals hieß. Nommensen gesundet. Durch einen Pfarrer erfährt er von der Rheinischen Mission in Wuppertal und tut dort seinen Wunsch kund, ein Missionar zu werden. Der 21jährige hat wohl kaum eine Ahnung, was das in der Praxis bedeutet. Nach vierjähriger theologischer Ausbildung wird er nach Indonesien geschickt. Am 14. Mai 1862 erreicht er die Nordwestküste Sumatras. Er muß eine starke Persönlichkeit gewesen sein, zielstrebig bis zum Starrsinn; beseelt vom Missionseifer, den man sich ein Jahrhundert danach nicht mehr vorstellen kann. Die Herausforderung war gewaltig.
Vom Geist angeblicher westlicher Überlegenheit, der Europas Entdeckung, Eroberung und Durchdringung der außereuropäischen Regionen seit dem 15. Jahrhundert rund um den Erdball antrieb, waren auch die protestantischen Missionare erfüllt und beflügelt. Sie kamen, historisch gesehen, relativ spät nach Indonesien. Die Portugiesen und Spanier hatten bereits im frühen 16. Jahrhundert katholische Wurzeln gelegt und beispielsweise in den Molukken christliche Gemeinden hinterlassen. Das geografisch isolierte Batakland, administrativ noch gar von den Holländern beherrscht, war Terra incognita. Im Küstenbereich kann Nommensen der Unterstützung anderer Missionare vertrauen, aber bei seinem Vordringen ins Hochland von Silindung ist er weitgehend auf sich allein gestellt. Er stößt bei den Batakern, die ihre eigene Kultur und Religion haben, auf Ablehnung und Unverständnis. Warum sollten sie sich auf seine Botschaft einlassen? Die Bataker wollen ihn loswerden, machen tausend Schwierigkeiten, bedrohen ihn mit dem Tod. Keine leeren Worte. Vorgänger Nommensens waren bei solcher Mission umgebracht worden. 1864 läßt er sich trotz aller Widerstände südlich des Tobasees nieder.
Die Überlebensbedingungen sind hart und verlangen viel Gottvertrauen. Nommensen bleibt kein Schicksalsschlag erspart. Widrigkeiten belasten in den folgenden Jahren auch die Familie. Unter Krankheiten hat die Frau Caroline Gutbrod zu leiden (geboren 1837), die aus Hamburg zu ihm kommt. Am 6. März 1866 wird Hochzeit gefeiert. Zwei Jahre danach stirbt eine Tochter, dann ein Sohn. Beim Heimaturlaub 1880/81 läßt Nommensen seine Frau mit zwei Kindern in Deutschland zurück. Er sollte sie nie wieder sehen. 1887 ist der Tod seiner ersten Frau zu beklagen. 1892 heiratet er zum zweitenmal. Christine Harder (geboren 1864) ist schwächlich, gemütskrank und den Tropenbelastungen nicht gewachsen. Auch sie wird vor ihm sterben. 1909 steht Nommensen an ihrem Grab. Sie hinterlässt drei Kinder. Leidgeprüft muß der Vater den Verlust zweier erwachsener Söhne hinnehmen. Nicht genug! Im Oktober 1916 fiel sein jüngster Sohn als Offizier im Ersten Weltkrieg an der Westfront.
Was einem Mann wie Nommensen trotz allem die Kraft gibt, durchzuhalten, weiterzumachen, den christlichen Geist zu verbreiten, ist wohl nur Eingeweihten verständlich. Sein unerschütterlicher Glaube, seine norddeutsche Sturheit, die von Kindesbeinen an eingeübte Anspruchslosigkeit – diese menschlichen Eigenschaften einer in sich schlüssigen und überzeugenden Persönlichkeit nötigen auch dem Respekt ab, der die Missionsvorstöße kritisch bewertet. Sie sind ja nicht zu trennen von den politischen Verhältnissen. Nommensen betritt in christlicher Mission völliges Neuland und wird damit zum Wegbereiter des Kolonialismus. Ein nützlicher Türöffner imperialer Interessen. Trotz anfänglicher gegenseitiger Abneigung arbeitet Nommensen schließlich mit der Kolonialverwaltung und dem holländischen Militär zusammen.
Erst als Nommensen in einem der regionalen Batak-Fürsten, in Raja Pontas Lumbantobing, einen Fürsprecher und Förderer seiner Missionsarbeit findet, festigte sich seine Stellung. Die ersten Bataker lassen sich taufen. Nommensen gründet eine christliche Siedlung. Von Anfang an betreibt er seine Mission in drei Bereichen: nämlich Verkündigung, Lehre und Gesundheitswesen. Zusammen mit dem Missionar Peter Hinrich Johannsen werden neue Missionsstationen eingerichtet. Immer weiter stößt Nommensen zum Tobasee vor und findet im ehedem unzugänglichen Batakland zunehmend Anhänger der von ihm mitbegründeten Kirche, der HKBP. Sie sollte die größte protestantische Kirche in Südostasien werden. Heute gehören ihr mehr als drei Millionen Mitglieder an.
Unglaubliches geschah: Innerhalb einer Generation haben die Bataker ihre Region der Welt geöffnet und sich dem Christentum zugewandt. Unter Nommensens Leitung werden nicht nur Kirchen gebaut, auch Schulen, Krankenstationen, Handwerksstätten. Sehr früh bezieht er Batak-Mitarbeiter ein. Die Ausbildung einheimischer Pastoren beginnt. Darin ist ein wesentlicher Erfolg seiner Arbeit begründet. Die Missionskirche wird eine einheimische Kirche. Und noch etwas sollte sich als folgenreich erweisen: Sehr früh werden auch Frauen in die Missionsarbeit einbezogen. Als Krankenschwestern werden sie ausgebildet und als Gemeindehelferinnen geschult. Das stärkte das Selbstbewusstsein und veränderte die Rolle der Frauen in der Batak-Gemeinschaft.
Nommensen verkörpert einen Mann der neuen Zeit. Die Epoche ist reif für Veränderungen. Die moderne Technik dringt vor. Deshalb ist es wohl zu kurz gegriffen, einen Nommensen nur als Wegbereiter des Kolonialismus zu sehen; er war im weiteren Sinne ein Wegbereiter neuer Ideen, einer weltoffeneren Lebensweise, eines selbstbewussten Umgangs der Menschen miteinander. Während der 56 Jahre, die Nommensen im nördlichen Sumatra lebte, hat er das Land der Bataker räumlich und geistig geöffnet. Er erhält hohe Auszeichnungen. Die Universität Bonn verleiht ihm 1904 die Ehrendoktorwürde. Die holländische Königin befördert ihn 1911 zum „Offizier des Ordens von Oranje-Nassau“. Nommensen war angekommen am Ziel jener Vision, die den 13jährigen bewegt hatte.
Am 23. Mai 1918 stirbt Ludwig Ingwer Nommensen 84jährig in Sigumpar am Südufer des Tobasees. Die Saat seiner Mission ist vielfältig aufgegangen. Das schlichte Grab mit dem schwarzen Stein ist noch immer ein Ort, den viele Menschen aufsuchen im stillen Gedenken an den Mann, der „Apostel der Batak“ genannt wird – und auch Ompu Nommensen, der Großvater, der Ahnherr. Mit ihm ging eine Epoche zu Ende, das der Erste Weltkrieg markierte. Die Mission, von einzelnen Europäern in Gang gesetzt, leitete über zu eigenständigen Kirchen mit einheimischen Geistlichen. Eine Führerfigur von seinem Schlage hatte sich überlebt. Kurz nach seinem Tod schreibt der Missionar Hermann Weissenbruch 1919: „Die alten patriarchalischen Zustände sind vorbei.“

Sehen mit dem „inneren Auge“: Max Dauthendey, Dichter (1867 – 1918)

Heutigen Literaturfreunden in Deutschland ist sein Name kaum mehr bekannt. Doch für Leser, die vor dem Ersten Weltkrieg und in den Jahren danach von fremden Ländern und deren Bewohnern träumen wollten, war Max Dauthendey ein beliebter Schriftsteller. Er wurde am 25. Juli 1867 in Würzburg geboren und begann als 24jähriger malend und schreibend ein bohèmehaftes Wanderleben, das ihn schließlich um die ganze Welt führte und ihm Stoff und Hintergrund für sein literarisches Werk einbrachte. Seine Novellen, Romane, Gedichte in einer Mischung aus Exotik und romantisch-verklärter Erotik trafen den Ton, der bei bürgerlichen Lesern seiner Zeit offenbar gut ankam. Der Orient in Malerei und Literatur war „in“. Als Jugendlicher hatte er sich vom Vater als Weihnachtsgeschenk einmal nur ein einziges Buch gewünscht: ein Buch über Java.
Im April 1914 bricht Max Dauthendey zu seiner zweiten Reise nach Asien auf, die ihn erstmals in die Inselwelt von Insulinde bringen soll. Alles hatte hoffnungsvoll begonnen. Der Norddeutsche Lloyd war bereit, den stets in Geldnöten befindlichen Dauthendey zum halben Preis zu befördern; die andere Hälfte streckte sein Münchner Verlag vor. Max Dauthendey ist 47 Jahre alt. Sein Lebenswerk liegt zum größten Teil bereits vor: die asiatischen Novellen unter dem Titel „Lingam“ (1909); „Die Geflügelte Erde, ein Lied der Liebe und der Wunder um sieben Meere“ (1910), ein Gedichtband von 547 Seiten, der die erste Weltreise von 1906 ausbreitet; „Die acht Gesichter vom Biwasee, japanische Liebesgeschichten“ (1910), eine weitere literarische Schöpfung aus jener Reise: es ist sowohl von der Gesamtauflage von mehr als 300.000 Exemplaren bis hin zur in die Gegenwart reichenden Nachwirkung eines der wenigen Bücher, die Max Dauthendeys Ruhm lebendig halten. Von diesem neuerlichen Vorstoß in exotische Welten, bis in die damals unter deutsch-kaiserlicher Flagge beherrschten Teile Neu-Guineas, erhoffte er sich Inspiration und Material für neue Werke. Nur ein paar Monate der Trennung von der in Würzburg daheimgebliebenen Frau Annie waren geplant. Mit dem Agenten in Berlin war die Absprache für die anschließende Vortragstournee schon getroffen. Doch alles kam anders. Es sollte seine letzte Reise werden: eine Reise ohne Wiederkehr.
Als im Sommer 1914 der epochale Gewittersturm des Ersten Weltkrieges aufzog, hatten dessen Blitze und Donner auch ein Echo im fernen Südostasien. „Morgens um 6 Uhr am 6. August 1914 legte der deutsche Reichspostdampfer ‚Manila’ – auf welchem ich die Rundfahrt um Neu-Guinea und durch den Bismarckarchipel gemacht hatte – auf den Molukken in der Hafenbucht von Amboina an“, schrieb Max Dauthendey in jenen Tagen, „ich befand mich auf dem Heimweg nach Europa, das ich im Frühjahr zwecks einer Java- und Neu-Guinea-Reise verlassen hatte. Wir Mitreisenden standen im Morgengrauen in Schlafanzügen auf Deck und erwarteten die kleine, tropische Gartenstadt. Denn Amboina war seit der Urwaldwelt Neu-Guineas das erste Städtchen mit asiatisch-europäischer Kultur, das wir erreichten. Seit Monaten entbehrten wir gewohnte Sitten, gekleidete Menschen, wohnliche Häuser und den Anblick einer lebhaften Stadtmenge. Die Urwaldmenschen Neu-Guineas hatten uns fast der geregelten Welt entfremdet. Wir ersehnten, lebhaft überdrüssig ungekämmter Wildnis, die Segnungen der Menschenwürde und friedlicher geordneter Umgebung. Da, in der Morgenstunde rief eine Stimme von der Anlegebrücke zum Kapitän unseres Schiffes hinauf: ‚Krieg in Europa! Krieg in Deutschland – Österreich gegen Frankreich, Russland, England, Belgien, Serbien’.“
Max Dauthendey und anderen Deutschen wurde die Rückfahrt nach Europa verwehrt. Kein Kapitän nahm deutsche Staatsbürger mehr in internationale Gewässer mit, weil die Engländer als kriegsführende Macht angedroht hatten, jeden Deutschen als Gefangenen zu nehmen. Einige Monate war er Gast bei deutschen Pflanzern in Nordsumatra, ging dann nach Batavia und Garut und von dort nach Surabaya und Malang auf Java; stets in neu aufflammender Hoffnung, doch noch ein Schiff für die Heimreise nach Deutschland zu finden. Im Sommer 1916 erkrankte er an Malaria, verzehrte sich an Heimwe und zog Anfang 1917 zur Kur in die ostjavanischen Berge, wo er als Dauergast im Sanatorium von Tosari eineinhalb Jahre lebte. Max Dauthendey starb wenige Wochen vor Ende des Krieges, der ihn zum Verbannten auf Java gemacht hatte: den Verdammten den Inseln, um einen Romantitel von Joseph Conrad aufzugreifen.
Indonesien war Dauthendey zum Schicksal geworden. Es war die Flucht ins Exotische gewesen, in ihren Beweggründen nicht ganz fremd auch manchem heutigen Reisenden, der sich aussteigend gen Südostasien aufmacht. Sein Hinscheiden, von ihm wehleidig narzistisch beobachtet und poetisch grüblerisch notiert, gerät zu einem weiteren Kapitel in der langen Geschichte deutscher Lebensläufe unter indonesischer Sonne. Des Dichters allmähliches Sterben und Verstummen, physisch wie geistig, zeigt ein Spannungsfeld auf, das in besonders emotionaler Weise die kulturellen Gräben offen legt, die Ost und West voneinander trennen – jedenfalls für einen äußerst empfindsamen Menschen wie Max Dauthendey. Er bezeichnete sich selbst als „altmodischen Dichter“, der mit dem „inneren Auge“ sieht. Immer mehr geriet er, unter der Not der ausbleibenden Geldüberweisungen aus Deutschland auch materiell leidend, ins Abseits seiner geistigen Existenz. Er war abgeschnitten von jenem abendländischen Kulturkreis, in dem sein Ich verwurzelt war, alleingelassen in der Ungewissheit, wann die Zwangszeit auf Java enden werde, vereinsamt in einer Welt, die für Pflanzer, Administratoren, Beamte, Wissenschaftler, Globetrotter und durchreisende Dichter einen Lebensraum bot, nicht aber für diesen zum Durchhalten verurteilten Mann höchst sensibler Natur. Die undurchdringliche Wand des ständigen Lächelns machte ihn krank. Das, was der Reisende hochgestimmt besang, wurde dem zum Bleiben gezwungenen zur Qual.
Immerhin gelingen ihm in den ersten Monaten und Jahren ergreifende Stimmungsbilder mit Worten, die er seinem Tagebuch und den Briefen anvertraut, und mit Farben, die er seinen Zeichnungen und Aquarellen verleiht. Er schreibt Märchenbriefe von tiefem Einfühlungsvermögen in javanischen Geist und javanische Geister. Lesenswert noch heute. Kennzeichnend für seine Lebens- und Leidenssituation ist das Bild des Käfigs, das er bei einem der Märchen varierte. Gesellschaftlicher Höhepunkt seiner Jahre auf Java war eine Einladung zum prachtvollen Hochzeitsfest des Sultans von Solo. Weitschweifig erzählt Dauthendey, wie er mit Frack und Zylinder die Heirat des Mangkubumi X. erlebte – auch eine historische Quelle zur Kolonialgeschichte. Diese Betrachtung erschien ebenso wie seine Java-Erzählungen, Briefe, Gedichte und sonstige Aufzeichnungen postum in den 1920er Jahren in Deutschland. In Indonesien hat kaum jemand unter den Deutschen von Dauthendey und seinen Schriften erfahren oder gar Notiz genommen. Die Indonesier haben ihn nicht gelesen.
Dauthendey bleibt trotz seiner trostlosen Lage bis an sein Ende ein hellwacher Beobachter, der auch politische Veränderungen weitsichtig registrierte. Anfangs ein deutscher Patriot, der in Gedichten den Krieg verherrlicht, wird er immer mehr ernüchtert und sieht Zusammenhänge wie man sie dem Schöngeist nicht zugetraut hätte. Die Kolonialherren waren längst umstritten. Nationale Befreiungsorganisationen formierten sich. Multatulis Saat der Kritik war aufgegangen. Die fremde Macht war noch ziemlich festgefügt, doch längst gefährdet. Am 16. September 1916 notierte Dauthendey in sein Tagebuch die Aufstände gegen die holländischen Herren in Jambi/Sumatra, wo die nur mit Lanzen bewaffneten Einheimischen den Angriff auf die weißen Soldaten gewagt hatten. Es gab Tote und Verwundete. „Wie gering klingen diese Verluste hier in Sumatra und Java gegen die täglichen Verluste von Toten und Verwundeten in Europa, die auf Tausende anwachsen“, so heißt es in seinen Aufzeichnungen, die in Malang niedergeschrieben werden und von erstaunlichem zeitgeschichtlichen Weitblick künden: „Und doch möchte ich glauben, daß die wenigen Toten und Verwundeten hier im Aufstand heute für die Zukunft sehr viel zu bedeuten haben. Die Mitglieder des S.I., des Sarekat Islam, werden sich aus den kleinen Erfolgen von heute großen Mut für morgen nehmen. Und dann wehe allen Europäern hier in Ostasien!“ Der sonst so sinnlich-impressionistisch dichtende Dauthendey fand auch solch klare Worte: „Alles koloniale Leben ist Räuberdasein und Zwingherrschaft. Dieses sollten die Europäer bedenken, wenn sie Kolonien gründen. Sie laden sich Schuld auf und gehen an ihren Kolonien, so wie Rom und Athen, zugrunde.“
Der Weltkrieg, den er nur aus Zeitungen und Gesprächen mit anderen Europäern verfolgen konnte, drängt ihm schließlich Vergleiche auf, die abendländischen Hochmut entlarven und mit veränderten Vorzeichen aktuell geblieben sind: „Da spricht man von Menschenopfern, die die Wilden in Neu-Guinea abschlachten. Aber was sind die Millionen europäischer Toter gegen die paar Wilden, die sich jährlich in Neu-Guinea auffressen. Zuletzt müssen uns die Urwaldwilden wieder Mitleid und Menschenwürde beibringen, uns Europäern. Die werden alle nach den Kriegsjahren vergessen sein, diese Kultureigenschaften. Wie soll man vor unseren Geistlichen Achtung behalten, daß sie nur den Wilden als Missionare Friedlichkeit lehren und dazu besonders aus Europa in die Südsee reisen? Sie sollten erst zuhause Frieden lehren und Frieden gründen, so daß es zu keinem Krieg in Europa hätte kommen können. So aber werden sie Feldprediger und müssen die Soldaten vor der Schlacht auch noch anfeuern, Soldat zu sein.“
Das schrieb er bereits in Tosari in sein Tagebuch. Es war Juni 1917 geworden, sein Vorrat an Hoffnung längst aufgebraucht. Wegen sich verschlimmernder rheumatischer Gelenkbeschwerden siedelte er im August 1918 nach Songgoriti in die Nähe Malangs über. Seine letzten Lebenstage verbrachte er in einem Krankenhaus, das der deutsche Arzt Dr. Alfred Leber gegründet hatte. Am 29. August 1918 starb Max Dauthendey im Alter von 51 Jahren. Im Mai 1930 wurden seine sterblichen Überreste nach Würzburg gebracht, wo heute auf dem städtischen Friedhof eine Grabplatte an ihn erinnert. In Indonesien hat er keine Spuren hinterlassen.

Von altem Schrot und Korn: Emil Helfferich, Kaufmann (1878 – 1972)

„Ich war phantasievoll, leidenschaftlich, dichterisch veranlagt, schwach in der Mathematik, freigebig, fröhlich und dann wieder grüblerisch, guter Kamerad mit Herrschereigenschaften, die sich schon früh durchsetzten, willensstark und schöpferisch. In mir glühte ein Funken des ‚feu sacré’, was sich wohl im Wesen ausdrückt, aber nicht in Worten beschreiben läßt.“ So sieht sich Emil Helfferich in rückblickender Selbstdarstellung, die eher auf einen Mann der Musen verweist als das, was er tatsächlich war: ein Pionier der deutsch-indonesischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Sein Name sollte zum Inbegriff einer Erfolgsgeschichte von großem Kaliber werden. Der außergewöhnliche Lebensweg begann in der Pfalz. Emil Helfferich wurde am 17. Januar 1878 in Neustadt an der Weinstraße geboren. Er stammte aus gediegenem bürgerlichen Haus, hatte fünf Brüder, eine Schwester. Der Vater war Textilfabrikant und Vorsitzender der regionalen Industrie- und Handelskammer: lebenslang ein Vorbild für den Sohn Emil. Der freilich fühlt sich in jungen Jahren mehr zur Dichtkunst als zum Geschäftemachen hingezogen. Das Schreiben wird ihm bis ins hohe Alter eine wesentliche Ausdrucksmöglichkeit bleiben, doch als Broterwerb kam für den Sohn aus begütertem Unternehmerhaus selbstverständlich nur das Geschäft in Frage.
In Hamburg absolviert er eine kaufmännische Lehre und kommt in der Hafenmetropole der großen weiten Welt schon ziemlich nahe. Nach dem Militärdienst folgt er dem Drang in die Ferne. Er schifft sich nach Penang ein, wo die Briten das Sagen hatten. Über Penang an der Malakka-Straße wurden die Handelswaren von Nordsumatra verschifft, das unter niederländischer Flagge stand. Es war Boom-Zeit für den Plantagenanbau. Tabak hatte Konjunktur. Als Angestellter in einem deutsch-britischen Handelshaus lernte er den Export der sogenannten Kolonialwaren von der Pike auf. Dann macht er sich selbstständig, läßt sich an der Südspitze Sumatras nieder und steigt in den Pfefferhandel ein. Die Malaria packt ihn. Die folgenden 16 Jahre wird er sich mit der Tropenkrankheit herumschlagen. Er siedelt nach Batavia über, gründet im Herbst 1903 zusammen mit seinem deutschen Freund die Firma Helfferich & Rademacher. Die Geschäfte laufen glänzend. Der Pfefferexport mit gewagten Spekulationen wird zum Renner. Doch dann fallen dramatisch die Preise. 1908 kommt es zum Knall. Die Pleite ist unvermeidbar. Am 14. April muß Helfferich sein Unternehmen liquidieren. Es ist der schwärzeste Tag im Leben des nunmehr 30jährigen, der ausgezogen war, der großen Welt seine Talente zu beweisen, und über Nacht wieder bei Null angelangt war.
Er ist auf sich allein gestellt. Von seinem älteren Bruder, Dr. Karl Helfferich, kann er keine Unterstützung erwarten; von Amts wegen weigert sich dieser, mit Verwandten Geschäfte zu machen. Er ist der prominenteste Mann der Familie geworden: Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Staatssekretär im Reichsschatzamt, 1916/1917 Innenminister und Vizekanzler; als Schöpfer der Rentenmark ist sein Name in jedem Lexikon zu finden; deutsch-national und monarchistisch eingestellt, als Politiker umstritten. 1924 kam er in Bellinzona bei einem Eisenbahnunglück ums Leben. Die beiden Brüder hatten ein eher distanziertes Verhältnis. Vielleicht wäre Emil Helfferich ohne sein Fiasko einer von vielen mehr oder minder erfolgreichen Kaufleuten geblieben, die die Kolonialgeschichte Indonesiens bevölkern. Doch der Bankrott und sein Drang nach Rehabilitierung setzten Energien, Ideen, Pläne frei, die den Neuanfang und die Stellung Helfferichs in einer historischen Dimension begründeten, die ihn aus den Reihen der Kaufmannskollegen heraustreten läßt.
Im Mai 1908 reist er nach Deutschland zurück, mobilisiert in der Heimat ebenso wie in den Niederlanden, in Belgien und England kapitalstarke Finanziers, Kaufleute, Investoren für das von ihm angeregte „Straits und Sunda Syndikat“. Es ist ein Investment-Trust, in dem sich Unternehmer zusammenschlossen, Kapital einbrachten und mit Helfferich als Direktor gemeinsame Geschäftsinteressen durchsetzten. Das Zauberwort jener Jahre heißt: Rubber. Ende 1909 kehrte Helfferich nach Batavia zurück. Nun ist er nicht mehr nur ein Kaufmann unter vielen, sondern ein mit großem Kapital und der Reputation eines international agierenden Kartells ausgestatteter Boss mit strategischem Weitblick. Ländereien werden gekauft; Pflanzungen angelegt; Produktion und Handel zusammengefasst. Ende 1913 beschäftigte das Syndikat in Niederländisch-Ostindien 57 Europäer und etwa 6.800 einheimische Arbeitskräfte. Es werden Konzessionen für Zinnminen übernommen, das Geschäft nach Siam und China ausgedehnt.
Ihm zur Seite steht die Holländerin Dina Uhlenbeck-Ermeling, die Lebensgefährtin, Beraterin, der gute Geist seiner Unternehmungen und die Begleiterin bis ins hohe Alter. Der Mann, der nüchterne Bilanzen zu Papier bringt und Millionen-Verträge aushandelt, schreibt zugleich gefühlvolle Gedichte und Geschichten, in denen er Menschen und Schicksale im „geliebten Palmenland“ aufzeichnet und damit die koloniale Atmosphäre seiner Zeit einfängt.
Dann schlägt der epochale Blitz auch in die vermeintlich heile von den Europäern regierte Welt Indonesiens ein. Sommer 1914. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verändert das Leben grundlegend. Neben den nun 200.000 in Insulinde beheimateten Holländern bilden die 3.000 Deutschen die größte Ausländergruppe. Deren Verhältnis zu den Holländern wird immer frostiger. Die Deutschen in Batavia und an anderen Orten im Archipel rücken enger zusammen. Emil Helfferich macht sich zu ihrem Sprecher und regt die Gründung des „Deutschen Bundes in Niederländisch-Indien“ an, der sich unter seiner Leitung am 27. Januar 1915 formiert. Als regelmäßige Publikation wird die Zeitschrift „Deutsche Wacht“ herausgebracht.
Nach dem Krieg veröffentlicht Helfferich in Fachzeitschriften seine Überlegungen zu Welthandel, Investitionen und internationalen Beziehungen. Längst war aus dem Kaufmann auch ein wirtschaftspolitisch agierender Mann geworden. Der „Deutsche Bund“ in Batavia und mit Niederlassungen in ganz Indonesien sollte die Keimzelle einer bilateralen Wirtschafts-Vereinigung werden, die das deutsch-indonesische Geschäftsleben bis heute prägt. Während Helfferichs Deutschlandbesuch 1924 sprach der Deutsche Industrie- und Handelstag dem „Deutschen Bund“ die offizielle Anerkennung als Deutsche Auslandshandelskammer aus. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Holland während des Zweiten Weltkrieges wurde die Kammer 1940 geschlossen. Es dauerte immerhin bis 1970, ehe wieder eine Deutsche Auslandshandelskammer, nun in der souveränen Republik Indonesien, gegründet werden konnte. Die offizielle Anerkennung als Deutsch-Indonesische Industrie- und Handelskammer – EKONID – durch die indonesische Regierung erfolgte 1973. Die Weichen dazu hatte Helfferich fast ein halbes Jahrhundert zuvor gestellt.
Im August 1928 verließen Emil Helfferich und seine Lebensgefährtin Niederländisch-Indien, um für immer nach Deutschland zurückzukehren. Das Paar siedelte sich in Hamburg an. 27 Jahre hatte er in den Tropen gearbeitet. Als 50jähriger suchte er mit seiner Umtriebigkeit nach neuen Aufgaben. Weltwirtschaftskrise. Der aufkommende Nationalsozialismus. Helfferich mischte in einflussreichen Positionen mit. Er war weiter in einer Vielzahl von Geschäften beteiligt, wirkte in den Aufsichtsräten der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG), der Deutsch-Amerikanischen Petroleumsgesellschaft, einer Tochter der ESSO New York, im Norddeutschen Lloyd und einigen anderen Unternehmungen; er bekleidete Ehrenämter in gemeinnützigen Organisationen. Aus der Politik hielt er sich heraus, machte aber zu Beginn der 1930er Jahre aus seiner Sympathie für das Nazi-Deutschland keinen Hehl. In den ersten Jahren der Hitler-Herrschaft sah sich Helfferich durchaus in Übereinstimmung mit der braunen Bewegung; später distanzierte er sich vom Antisemitismus. Ab 1941 legte er seine wichtigsten Ämter nieder. Emil Helfferich war einer der vielen Deutschen, die sich mehr oder weniger mit den Machtverhältnissen arrangierten und so ihr eigenes Überleben sicherten. Herbert Kaminski registriert in seiner Lebensskizze Helfferichs die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: „Von Januar bis Juni 1946 wurde Helfferich von den Engländern im Gefängnis Hamburg-Altona in Einzelhaft genommen, ein Verfahren gegen ihn jedoch nicht eröffnet; im Mai 1947 wurde sein beschlagnahmtes Vermögen von der Militärregierung freigegeben, im April 1949 stufte ihn die Entnazifizierungsbehörde in die Kategorie V (unbelastet) ein.“
Helfferich war ein deutscher Weltbürger, heute würden wir wohl sagen: ein Global Player. Dementsprechend die internationalen Ehrungen. 1938 ernannte ihn die Königin der Niederlande zum „Großoffizier des Oranje-Nassau-Ordens“ für sein Bemühen um ein gutes deutsch-niederländisches Verhältnis. 1940 wurde ihm in Japan der Orden vom „Heiligen Schatz“ verliehen. 1943 erhielt er von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg den Doktorgrad der Wirtschaftswissenschaften ehrenhalber. Zu seinem 75. Geburtstag im Januar 1953 pries ihn die Handelskammer Hamburg als „großen Vorkämpfer der deutschen Außenwirtschaft“.
1951 reiste Helfferich, bereits 73jährig, noch einmal nach Indonesien. Im Auftrag der deutschen Bundesregierung und des Ostasiatischen Vereins sollte er nach dem Zusammenbruch der Handelsbeziehungen wieder um Vertrauen für Deutschland werben. Am 17. August 1945 hatte Indonesien seine Unabhängigkeit proklamiert. Die Welt des Kaufmanns Emil Helfferich, einer vom alten Schrot und Korn, war endgültig versunken. Als er während dieser Reise in Jakarta mit dem Gründungspräsidenten Sukarno zusammentraf, begegneten sich Repräsentanten verschiedener Welten und Generationen, die sich gleichwohl etwas zu sagen hatten. Bei Sukarnos Staatsbesuch in der Bundesrepublik Deutschland sahen sich die beiden Männer am 26. Juni 1956 ein zweites Mal. Im Hamburger Hotel Atlantic war großer Empfang. Zwei außergewöhnliche Menschen begrüßen sich. Sukarno nimmt Helfferichs ausgestreckte Rechte in beide Hände. Der jugendlich wirkende Präsident, lächelnd, charmant, ganz die Verkörperung des neuen selbstbewussten Indonesien – und ihm gegenüber der würdige alte Herr, fast kahl nun, der Vollbart weiß, aufrecht und mit Hilfe eines Hörgerätes hellwach und im Gespräch erkennbar. aufgeschlossen.
1970 zog sich Helfferich aus Hamburg in seine Geburtsstadt Neustadt an der Weinstraße zurück. Bereits 1939 hatte ihn die Lebensgefährtin Dina Uhlenbeck-Ermeling verlassen, gestorben an Krebs. Die letzten Jahre bis zu seinem Tod am 22. Mai 1972 verbrachte er im Hause der Familie, das 1885 gebaut worden war und noch heute steht. Sein Leben, das 94 Jahre währte? Er umriß es als „…diese Geschichte von Arbeit, Liebe, Freundschaft und Vaterland“.

Ein Mann aus Bremen entdeckt malaiische Geschichten: Hans Overbeck, Kaufmann, Sprach- und Insektenforscher (1882 – 1942)

Von Hans Overbeck und seinen höchst unterschiedlichen Aktivitäten wissen wir heute eine ganze Menge, aber noch immer gibt der Mann aus dem deutschen Norden, der in Indonesien seinen Lebensraum fand und dort grausam zu Tode kam, einige Rätsel auf. Wer war der Mann mit den drei Gesichtern und Passionen: der Kaufmann, der Vermittler klassischer malaiischer Literatur und der Insektenforscher?
Hans Overbeck wurde am 28. März 1882 als zweiter Sohn in Bremen geboren. Als wohlhabender Mann war der Vater aus Burma nach Deutschland zurückgekommen und hatte sich in der Hansestadt angesiedelt. In Rangoon hatte er ein Vermögen gemacht. Hans Overbeck besucht das humanistische „Alte Gymnasium“ in Bremen, absolviert seinen Militärdienst und entschließt sich 1904 als 22jähriger, nach Südostasien auszuwandern. In Diensten der Firma Arnold Otto Meyer (Hamburg) wird er Kaufmann und bereist bis zum Ersten Weltkrieg von der Niederlassung Singapur aus den indonesisch-malaiischen Archipel und die Philippinen. Als Prokurist des deutschen Export-Unternehmens wird er später „Generalvertreter für Insulinde“.
Merkwürdiges geschieht in jenen Jahren. Der junge Mann nutzt seine ausgedehnten Geschäftsreisen auch, um Material zusammenzutragen, das in keiner buchhalterischen Bilanz, sondern Jahre später in bibliophil gestalteten Druckwerken der Nachwelt überliefert wird. Hans Overbeck entdeckt und pflegt seine Liebe zur klassischen malaiischen Literatur. Er stöbert auf Märkten originale Manuskripte auf, geht in Archive, Museen, durchforscht die Fachliteratur. In seinen Briefen der späten Jahre teilt sich ein eher kantiger, kauziger Mann mit, verbittert zuweilen, wenn er über politische Zeitumstände und seine finanziellen Engpässe schreibt. In jenen jungen Jahren aber scheint Overbeck die Offenheit gehabt zu haben, sich auf all das Neue, Unbekannte, Fremde einzulassen. Er sieht Südostasien nicht bloß als Kulisse „eingeborenen Lebens“, sondern als Kulturraum eigener Qualität und Dimension. Ein Autodidakt, Dilettant im besten Sinne. Er sammelt Handschriften, lernt die originalen Sprachen ihrer Herkunft. Er wagt sich an die „Malaiische Chronik“ heran, das große Geschichts- und Geschichten-Werk aus der bewegten Vergangenheit des Sultanats Malakka: „Sejarah Melayu“. Dieses umfangreiche literarische Erbe der Malaiien überträgt er ebenso in poesievolles Deutsch wie die Abenteuer des „Hang Tuah“, die als Legenden und volkstümliche Erzählungen überliefert sind. Der gewitzte Held Hang Tuah ist eine der populären Figuren jener malaiischen Geschichten. Bevor Overbecks Übersetzerarbeit in Deutschland als Bücher erscheinen kann, wirft auch ihn der Erste Weltkrieg aus der Bahn und ruiniert seine Existenz.
Im von den Briten beherrschten Singapur wird er 1914 wegen seiner deutschen Herkunft interniert und ein Jahr später nach New South Wales in Australien verlegt und inhaftiert. Der vielseitig interessierte Overbeck beschäftigte sich als Gefangener hinter Stacheldraht nicht nur weiterhin mit der malaiisch-indonesischen Literatur, er richtete seine Neugier auch auf Kleinlebewesen. Und dies, wie sich bei späteren Publikationen und brieflichem Austausch mit dem Staatlichen Museum für Tierkunde in Dresden zeigen sollte, mit durchaus professioneller Sachkenntnis.
Nach fünfjähriger Verbannung baut Overbeck auf den Trümmern des Ersten Weltkrieges seine persönliche Existenz wieder auf, wird Handelsbevollmächtigter der Firma Behn, Meyer & Co. (Singapur) und lebt wechselweise in Batavia, Semarang, Surabaya. Für fast zwei Jahre übernimmt er das Amt des deutschen Honorarkonsuls. In den Jahren nach dem Krieg werden seine Übersetzungen von „Hang Tuah“ und der „Sejarah Melayu“ im Jenaer Verlag Eugen Diederichs veröffentlicht: prachtvoll in Batik eingebunden, wunderbar ausgestattet, bibliophile Kostbarkeiten, die wie exotische Botschaften märchenhaften Reichtums im darbenden Nachkriegsdeutschland erscheinen und dort begeistert aufgenommen werden.
Anders als sein Zeitgenosse Emil Helfferich war Overbeck introvertiert, jeglichem Rummel abhold und unfähig und unwillig zur Selbstdarstellung, ein faustischer Forschertyp: hanseatisch-kühl, Pfeifenraucher – so wirkt er auf den wenigen Fotos, die erhalten sind. Zweimal kehrt er noch nach Bremen als Urlauber zurück – 1925 und 1932. Doch es wird ihm klar: das Deutschland des aufkommenden Naziregimes ist nicht mehr seine Heimat. 1932 setzt er sich im zentraljavanischen Yogyakarta zur Ruhe, hoffend, sich nunmehr nur noch seinen Neigungen widmen zu können: Geschichten und Insekten zu sammeln und sie der Nachwelt zu erklären und zu erhalten. Ende der 1930er Jahre trägt er 1.500 javanische Kinderlieder und Spielreime zusammen und übersetzt sie für eine Buchveröffentlichung in holländischer Sprache.
Über seine Lebens- und Arbeitsweise jener Schonfrist bis zum Zweiten Weltkrieg ist in den Briefen nachzulesen, die er als Begleitschreiben mit seinen Insektenfunden nach Dresden schickt. Professor Wilfried Wagner, Historiker der Universität Bremen und Experte indonesischer Geschichte, hat die verschollene Korrespondenz erst 1994 ausfindig gemacht. Die Briefe sind die einzig bekannte und wahrscheinlich die letzte erhaltene authentische Quellensammlung aus den späten Lebensjahren Hans Overbecks. Er lebte allein und in bescheidenen Verhältnissen und zehrte von den geringen Ersparnissen. Rente, Altersversorgung, Versicherung – für ihn alles Fremdworte. Er hält sich aus der Politik heraus und will auch von dem nationalsozialistischen Ansinnen, die von einigen Nazi-Deutschen in Batavia an seine Adresse gerichtet werden, nichts wissen.
Die holländische Kolonialpolitik beurteilt er kritisch, doch er bleibt loyal und äußert sich nicht öffentlich. Daran erinnert die indonesische Historikerin Dr. Lilawati Kurnia von der Universitas Indonesia in Jakarta: „Hans Overbeck stand auf unserer Seite. Er verstand den Drang der indonesischen Völker nach Unabhängigkeit aus deren Selbstverständnis heraus, das auf dem Reichtum der eigenen Kultur gründete. Die Kolonialpolitik bewertete er als ausgesprochen ungerecht.“ Allerdings: „Er erträumte stellvertretend eine malaiische Identität von Sprache, Raum und Geschichte. Eine multi-ethnische Republik stand ihm nicht vor Augen. … Seine Interpretation der malaiischen Seele ist nicht handlungsorientiert…, sondern kontemplativ“, so Wilfried Wagner in seiner Bewertung. Hans Overbeck hatte sich ein Lebenswerk vorgenommen, dessen Vollendung unerreichbar bleiben musste. Auf 20 Bände waren seine Übersetzungen angelegt gewesen. Zwei Titel nur konnten erscheinen.
Am 10. Mai 1940 wurde Overbeck in Yogyakarta von den Holländern verhaftet. Das Deutsche Reich mit seinen Truppen war in den Niederlanden eingefallen, deren Neutralität missachtend. Abermals wird er ein Opfer der Politik, die er weder gewollt, noch gebilligt hat. Nicht wegen individueller Schuld, sondern weil er einen bestimmten Paß hat, wird er wie alle Deutschen in (noch) Niederländisch-Indien interniert und schließlich in das Lager Alas Valley im nördlichen Sumatra verbracht. Wieder gehen wertvolle Dokumente aus Overbecks Besitz verloren – und damit unersetzliche Quellen, die genauer Aufschluß geben könnten über Leben und Werk des Hans Overbeck. Mit 400 weiteren deutschen Zivilinternierten wird er am 18. Januar 1942 auf den niederländischen Frachter „Van Imhoff“ gebracht. Von Sibolga aus sollen die Gefangenen über Colombo in ein zentrales Sammellager nach Dehra Dun im Norden von damals Britisch-Indien verfrachtet werden. Japanische Fliegerbomben treffen am 19. Januar die „Van Imhoff“. Das untergehende Schiff wird auch Hans Overbecks Grab,

Promovierter Dampfschiff-Heizer erforscht Borneo: Karl Helbig, Geograph und Seemann (1903 – 1991)

„Den bedingungslosen Gelehrten musste ich ebenso enttäuschen wie den eingefleischten Abenteuer-Literaten“, so zog Karl Helbig hochbetagt in Hamburg selbst die Grenzen seines Schaffens und erklärte: „Ich habe schon sehr früh Interesse für größere Räume und für die weitere Welt gespürt – obwohl ich im Schulunterricht, in der Geographie, sehr schlecht war. Diese Art von Geographie hat mir nicht gefallen, aber der Drang ist immer geblieben: du musst mehr von der Welt sehen.“ Das sagte er bereits rückblickend auf ein Leben voller Reisen und Forschung mit einem Beruf, den er in unauflöslicher Zwillingsverbundenheit stets Heizer und Geograph nannte.
Karl Helbig ist am 18. März 1903 in Hildesheim geboren. Erster Weltkrieg. Weltwirtschaftskrise. Abgebrochenes Studium. Jobben im Kalibergbau. Er wird Kohletrimmer auf einem Dampfer, der nach Indien auslief. Schon bei der ersten Reise nach Bombay, Kalkutta, Karatschi wurde aus dem Gehilfen des Heizers dank seiner körperlichen Robustheit selbst ein Heizer. Der Beruf und die Tropen sollten sein Schicksal bestimmen. Diese Beschäftigung ermöglichte es ihm fortan, die großen Reisen von Deutschland nach Indonesien zu bewerkstelligen. Damit hatte er die Passage kostenlos und finanzierte mit der Heuer seine weiteren Exkursionen in der indonesischen Inselwelt, zu der er sich besonders hingezogen fühlte. Nicht zu seinem Vergnügen wollte er dorthin, auch nicht der Abenteuer wegen und um Geld zu verdienen schon gar nicht, sondern um wissenschaftlich zu arbeiten.
Als er 1929 im Überseehafen von Batavia, in Tanung Priok, abmusterte, betrat er als Student den javanischen Boden. In Hamburg hatte er sich zum Studium der Geographie, Geologie und Völkerkunde eingeschrieben. Er hatte mit dem Erlernen der malaiischen Sprache begonnen, eignete sich Holländisch an und wagte sich wissenschaftlich auf Neuland vor. In den folgenden Monaten sammelte er das Material für seine Dissertation zum Thema „Batavia – eine tropische Stadtlandschaftskunde im Rahmen der Insel Java“. Es war die erste derartige Bestandsaufnahme jener Stadt, die die holländischen Kolonialherren zum Zentrum ihrer Macht ausgebaut hatten. Rückkehr nach Hamburg. Am 28. Juni 1930 verlieh ihm die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg den Grad eines Dr. rer. nat. Das Promotionsverfahren schloß er mit Auszeichnung ab. An der schweißtreibenden Art der weiteren Überfahrten änderte sich nichts. Karl Helbig wurde der erste und vermutlich der einzige Vollakademiker unter den Heizern der deutschen Handelsmarine. 1940 legte er der Philosophischen Fakultät der Universität Marburg seine Habilitationsschrift vor; sie trug den Titel: „Die Insel Bangka. Beispiel eines Landschafts- und Bedeutungswandels auf Grund einer geographischen Zufallsform.“ Damit waren die akademischen Lorbeeren, die er bei jeder neuen Passage als Heizer mit in die Tiefen der Dampfer nahm, noch etwas üppiger geworden.
Die Zeitströmungen des beginnenden Unabhängigkeitskampfes in Indonesien hat Karl Helbig, der sich den ausgebeuteten, den benachteiligten Menschen stets nahefühlte, mit wachem Geist verfolgt und darüber in seinen landeskundlichen Arbeiten berichtet. „Wie unendlich viel können wir, gerade wir, doch von den Asiaten lernen.“ Das schrieb er 1934 – zu einer Zeit, da in Deutschland der Rassenwahn und weiße Dünkel wahnwitzigen Auftrieb erhielten und viele Deutsche (und auch Niederländer!) in mörderischer Verblendung meinten, der Rest der Welt habe gefälligst von ihnen zu lernen.
Von anderen lernen – der für Karl Helbig so bezeichnende Satz steht in seinem Buch „Tuan gila – ein ‚Verrückter Herr’ wandert am Äquator“. Als er dafür seine Feldforschung im Norden Sumatras betrieb und 2000 Kilometer zu Fuß übers Hochland streifte, ganz allein als Europäer und nur von einem einheimischen Jungen begleitet, konnten sich die Menschen der Region keinen Reim auf diesen seltsamen Weißen machen. Sie waren an koloniale Herren gewöhnt. Der forschende Wanderer aber wollte ihre Lebensweise erkunden – ein „Tuan gila“, ein verrückter Herr eben.
Helbigs Borneo-Durchquerung ist bereits Legende. Im November 1936 trat er seine abenteuerlichste und beschwerlichste Reise an. Das Ziel der Unternehmung war die Erkundung von Kalimantan, wie heute der zu Indonesien gehörende Teil Borneos heißt. Es wurde ein aufsehenerregender Fußmarsch von Pontianak nach Samarinda und von dort nach Banjarmasin: 3000 Kilometer durch den tropischen Regenwald. Acht Monate hat die Expedition gedauert. So gründlich und konsequent und so peinlich genau in den Aufzeichnungen hatte das dort noch kein Mensch durchgehalten. Erst 46 Jahre danach war es ihm möglich, die vollständige Auswertung der damaligen Reiseeindrücke und seine wissenschaftlichen Daten zu veröffentlichen: 800 eng bedruckte Seiten mit dem Hinweis: „Eine Dokumentation in Wort und Bild für vieles, was nie wiederkehren wird.“
Karl Helbig ist danach nie mehr nach Südostasien gekommen. Der Zweite Weltkrieg machte alle weiteren Pläne zunichte. Doch Helbig wurde – in der von ihm bewusst so gesehenen Nachfolge des Franz Wilhelm Junghuhn – zum Wegbereiter der Indonesien-Forschung. Auf seine Arbeiten konnten und können Generationen nachfolgender Wissenschaftler bauen.
In den 1950er Jahren begann er mit geographischen Untersuchungen in Mittelamerika und der Karibik. Wiederum erarbeitete er sich die Überfahrt als Heizer auf Handelsschiffen. Mit großem Erfolg wandte er sich 1953 wissenschaftlichen Arbeiten in Mexiko, Guatemala und El Salvador zu; er erforschte die Misquito-Region im Grenzgebiet von Honduras und Nicaragua. Wieder war zu Fuß losgezogen, um dafür die erforderlichen Daten zu sammeln. Wieder unter enormen körperlichen Strapazen. Wieder mit geringen Mitteln.
Sein literarisches Gesamtwerk umfasst etwa 700 Titel. In mehr als zwei Dutzend Büchern ist diese gigantische Arbeit nachzulesen: wissenschaftliche Untersuchungen vor allem über Indonesien, Reisereportagen, populärwissenschaftliche Aufsätze, Radiovorträge. Die reichen Erfahrungen seiner Exkursionen und Begegnungen flossen in eine Reihe von Geschichten ein, die spannende und informative Lektüre zugleich sind. Und nicht zu vergessen: seine Romane und Erzählungen für junge Leser. Welche Vielfalt! Da passt wahrlich kein Klischee.
Am 9. Oktober 1991 ist Karl Helbig in Hamburg gestorben: „…mitten aus seiner Arbeit abberufen“, so heißt es in der Anzeige; sie wurde, seinem Wunsche entsprechend, erst drei Wochen nach seinem Tode veröffentlicht.

Liebling der balinesischen Götter: Walter Spies, Maler und Musiker
(1895 – 1942)

Der Mann aus Deutschland verkörperte und lebte die Hoffnung, die so viele Reisende mit Bali verbinden: auf dieser Insel in Einklang mit sich zu gelangen, die eigenen Talente zur schönsten Blüte bringen zu können und in der Begegnung mit einer einzigartigen Kultur und Kulturlandschaft innere Erfüllung zu finden. Es scheint ihm gelungen zu sein. Er schwelgt im Überfluß: „Das ganze Leben ist mir ein andauernder Geburtstag! Dies ist zweideutig! Erstens fühl ich mich jeden Tag immer wieder neu geboren, und zweitens ist mein Lebenstisch überladen von sich immer auswechselnden Geschenken, von denen die meisten ich mir selbst gewünscht oder sogar selber geschenkt habe. Und es sind so viele Herrlichkeiten, daß ich kaum Zeit finde, sie anzusehen oder damit zu spielen. So manches bleibt ungespielt!!“, schreibt Walter Spies überschwänglich 1939 in Ubud.
Walter Spies wurde am 15. September 1895 in Moskau geboren. Er entstammte einer wohlhabenden deutschen Kaufmannsfamilie, die in Russland lebte. Zur Schulausbildung wird er nach Dresden geschickt, kehrt aber in den Ferien heim ins russische Reich. Der Einfluß von Musik, Malerei, Tanzkunst bereits in Kindertagen sollten das Wesen und Leben des Walter Spies nachhaltig prägten. Er beginnt zu malen. Die vermeintlich heile Welt gerät durch die Revolutionswirren und den Ersten Weltkrieg durcheinander. Das Spies’sche Wirtschaftsimperium bricht zusammen. Als Deutsche werden Walter und der Vater drei Jahre interniert. Es gelingt die Flucht. Der Sohn ist auf der Suche nach neuem Halt und Orientierung. Er reist nach Dresden und Berlin und kommt mit den künstlerischen Größen der Epoche zusammen. 1919 kann er zum ersten Mal in Dresden seine Bilder präsentieren. 1923 nimmt er an einer Ausstellung in Amsterdam teil. Er pflegt eine intime und schwierige Freundschaft mit dem berühmt gewordenen Stummfilmregisseur Friedrich Murnau. Spies, sich seiner Homosexualität wohl bewusst, kann sich in den Künstlerkreisen frei bewegen. Doch der junge, anspruchsvolle Mann fühlt sich in seinem leidenschaftlichen Verlangen nach Identität und Selbstverwirklichung von der Hektik und Oberflächlichkeit jener „wilden 20er Jahre“ abgestoßen. Die Ferne lockt.
1923 mustert er als Matrose in Hamburg an und fährt nach Java. Es wird die entscheidende Reise seines Lebens – auch für ihn ohne Wiederkehr. Ein Kulturflüchtling und Wanderer zwischen den Welten. Wohl im Geiste ein entfernter Verwandter von Max Dauthendey, doch viel aktiver, vielseitiger, in der Fülle seiner Begabungen auf Menschen bezogen und bereit, zu nehmen und zu geben und sich auf Menschen einzustellen: ein begnadetes Multitalent mit Charme und Selbstvertrauen. In Bandung hält er sich als Klavierspieler im Stummfilm-Kino über Wasser. Mit Freuden nimmt er eine Einladung nach Yogyakarta an. 1924/25 lebt er im Kraton und leitet im Auftrag des Sultans das Orchester für europäische Musik. Mit all seinen Sinnen läßt er sich auf die asiatische Welt ein. Spies überträgt das Gamelan in die europäische Notenschrift, lernt selbst zu spielen und wagt musikalische Experimente. Spies verfasst Aufsätze darüber, aber es bleibt bei kürzeren Arbeiten. Nicht die Systematik war Spies’ Stärke, sondern die Improvisation, geboren aus Intuition und der Lust an unmittelbarer Teilnahme.
Bei einem der Feste im Kraton ist auch der Cokorde Gede Raka Sukawati aus Ubud von der Insel Bali zu Gast. Er lädt Walter Spies zu sich ein. Es folgen einige Besuche. 1927 siedelt er sich ganz in Ubud an. Er hat das Eiland seines Lebens erreicht. Bali wird ihm zum Schicksal, und sein Wirken trägt wesentlich zur Veränderung Balis bei. Er ist Künstler mit allen Fasern seines Seins. Ein Musiker, der sich in der europäischen Klassik wie in der zeitgenössischen Musik jener Jahre bewegt. Ein Maler, der in visionären, traumhaften Bildern die Seele Balis einfängt. Ein Initiator, der einheimische Maler, Tänzer, Musiker, Schnitzer anzuregen versteht. Ein Briefeschreiber, der von seinem Wirken in spontaner Begeisterungsfähigkeit erzählt. Obendrein auch Fotograf, Sprachtalent, Natur- und Menschenliebhaber, Ko-Autor mehrerer Bücher über Bali.
Alle ausländischen Gäste mit Rang und Namen, die die Insel besuchen, schätzen seine Begleitung, seine Kenntnis, seine Vermittlung. Für Vicky Baum wird er zum Inspirator ihres berühmten Romans „Liebe und Tod auf Bali“. Er fungiert bei den Dreharbeiten für den Film „Die Insel der Dämonen“ als landeskundlicher und künstlerischer Berater, 1931 von Victor Baron von Plessen großartig inszeniert und vom Kameramann Dahlsheim in packende Stummfilmszenen umgesetzt. Die Gästeliste weist Prominenz auf: Margaret Mead, Noel Coward, das Ehepaar Covarrubias, Barbara Hutton, Charlie Chaplin. Er bringt ihnen sein Bali nahe und trägt durch deren Weitergabe zur Popularität der Insel als westliche Vorstellung des Paradieses bei. Dem späteren Massentourismus bereitete somit auch Walter Spies – ungewollt aber für ihn bereits erkennbar – den kommerzialisierten Weg.
Erfüllte Jahre. Doch auch Walter Spies blieb nicht unangefochten ein Liebling der balinesischen Götter. 1938/39, also noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, lösen die holländischen Behörden eine wahre Hexenjagd auf homosexuelle Männer aus. In deren Kreisen wähnt der Geheimdienst erpressbare Spione und potentielle Feinde. Ein Gemisch von Vorurteilen, Aversion und Verdächtigungen gegenüber bestimmten Deutschen läßt Polizei und Justiz aktiv werden. Hunderte werden verhaftet. Das Obrigkeits-Europa, dem Walter Spies angewidert davongelaufen war, holt ihn wieder ein. Am 31. Dezember 1938 kommt er in Untersuchungshaft. In Surabaya sitzt er bis zum 1. September 1939 im Gefängnis. Hinter Gittern keimt neue Kreativität. Er malt sich in Gefilde geistiger Freiheit. Als „Magischen Realismus“ bezeichnen später die Kunsthistoriker seinen Stil. Doch es ist nicht der Anfang eines neuen Schaffensprozesses, sondern das Ende jenes einst so jubelnd besungenen „andauernden Geburtstages“.
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in den Niederlanden am 10. Mai 1940 reagieren die holländischen Behörden in Indonesien sofort. Die in ihrem Bereich lebenden 2.436 Deutschen werden interniert. Es ist unwiderruflich das Ende der über dreihundertjährigen deutsch-holländischen Zusammenarbeit unter dem Banner von VOC und Kolonialverwaltung in Niederländisch-Indien. Menschen, die bis gestern gute Nachbarn waren, werden im Banne der Kriegsereignisse zu Feinden. Die Deutschen, gerade noch ihrer Fähigkeiten wegen geschätzt und zumeist völlig in die holländische Kolonialgesellschaft integriert, geraten in Gefangenschaft. Männer werden von Frauen und Kindern getrennt.
Auch Walter Spies wird schließlich nach Kota Tjahé im nördlichen Sumatra verbannt. Das Lager, das unter dem Namen Alas Valley bekannt wurde, teilt er mit mehr als zweitausend Leidensgenossen. Unter ihnen begegnet er auch Hans Overbeck. Und wie der wird Walter Spies an Bord des 3000-BRT-Dampfers „Van Imhoff“ gebracht, um nach Indien verfrachtet zu werden. Am 19. Januar 1942 wird es in Küstennähe von japanischen Fliegerbomben getroffen und versinkt. Die Besatzung kann sich retten, kümmert sich aber überhaupt nicht um die Gefangenen und läßt sie buchstäblich absaufen. Die Begleitumstände und das Verhalten der holländischen Crew, ein verdammungswürdiges Versagen, sind ein düsteres Kapitel niederländischer Marinegeschichte. Der Skandal macht trotz offizieller Vertuschungsversuche des holländischen Staates nach dem Krieg in Europa Schlagzeilen. Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß diese Tragödie mit jenem Mann verbunden ist, der zur Symbolfigur der deutsch-niederländischen Verflechtungen in Indonesien geworden war und nun als Schiffsname zum Begriff des Scheiterns wird: Generalgouverneur Willem van Imhoff. Der Untergang der „Van Imhoff“ und die unterlassene Rettung der deutschen Gefangenen ist das unrühmliche, beschämende Ende der holländisch–deutschen Kooperation in Insulinde, die sich über Jahrhunderte bewährt hatte.
Auch der 47jährige Walter Spies hatte keine Chance des Überlebens. Die See ist sein Grab geworden.

Und die Frauen?

Bleibt die Frage nach den deutschen Frauen in Indonesien. Haben die denn keine Rolle gespielt? Sie haben! Aber zum einen waren die ausreisenden Damen und mitausreisenden Ehefrauen schon von der Zahl her weitaus weniger als die Herren; die zogen nämlich fast alle ledig los und suchten sich unter den Schönen der Inseln ihre Gefährtinnen, wie immer das moralisch zu bewerten war; und zum anderen blieben die europäischen Frauen gesellschaftlich im Hintergrund, betraten kaum die öffentliche Bühne und teilten sich der Nachwelt allenfalls in Tagebüchern und Briefen mit. Welchen Einfluß sie auf Männer, auf ihre Männer hatten, verliert sich im Nebel der Spekulation. In unserem Zusammenhang demnach wenig weiblicher Stoff von dokumentarischem Gewicht.
Beispielhaft also acht deutsche Männer, die die holländisch-deutsch-indonesischen Beziehungen geprägt haben und von ihnen geprägt wurden. Akteure und Opfer, Pioniere und Träumer, Tatmenschen und Zauderer; mitgestaltend in der Dramatik ihrer Jahre: die meisten; mitgerissen von den Zeitumständen: alle.

Literaturhinweis zur vertiefenden Lektüre:

Rüdiger Siebert: „Deutsche Spuren in Indonesien – Zehn Lebensläufe in bewegten Zeiten“, mit ausführlicher Bibliografie, Horlemann-Verlag, Unkel/Rhein, 2002.