von Rüdiger Siebert

Ein Batak-Haus weckte die Neugier auf außer-europäische Kulturen. Der Vater war Lehrer, und einer seiner Schüler machte sein Glück als Pflanzer im einstigen Niederländisch-Ostindien. Er kehrte im Urlaub aus Sumatra nach Deutschland zurück und hatte das Modell eines Batak-Hauses im Gepäck, das er seinem Lehrer als Geschenk überreichte. Das war in den 1920er Jahren. Fortan wurde die hölzerne Wohnstatt batakscher Lebensweise zum bestaunten und bewunderten Gegenstand aus einer fremden Welt und beflügelte die Fantasie des jungen Otto Friedrich Timmermann. Die naturgetreue Nachbildung eines Traditionshauses war seine erste Begegnung mit einem Kulturzeugnis Indonesiens. Viele Jahre später, längst in akademischem Amt, Familienvater und weit gereist, war dieses Batak-Haus eine Zierde in den eigenen vier Wänden in Köln. Dann wurde es dem Staatlichen Museum für Völkerkunde in München vermacht, wo in dessen Sammlungen auch ethnografische Objekte aus Indonesien aufgenommen wurden, die das Ehepaar Irmgard und Otto Friedrich Timmermann selbst von Reisen aus Südostasien mitgebracht hatten, vor allem Gewebe-Geräte zur Textilherstellung, Holzarbeiten und Palmblattkunst.
Otto Friedrich Timmermann wurde am 29. September 1910 im westfälischen Ostönnen in der Soester Börde geboren. Er wuchs mit seinen Geschwistern in der landwirtschaftlich geprägten Umgebung auf. Naturverbundenheit und eine enge Beziehung zur Heimat sollten prägende Erfahrungen werden, die Studium und akademische Laufbahn bestimmten: verwurzelt in einer geschichtsträchtigen und charaktervollen Region, doch aufgeschlossen für die große weite Welt.
Er begann nach der Schule zunächst ein Mathematik-Studium, entdeckte aber bald seine wahre Leidenschaft, als er in München zur Geografie wechselte. Er wurde Kulturgeograf, in jenen 1930er und den folgenden Jahren fand er eine neue Sichtweise seiner Zunft, nämlich in vielschichtiger Verbindung von lokalen und globalen Zusammenhängen die Welt wahrzunehmen, sie nicht bloß zu vermessen und in kartografische Systeme zu übertragen, sondern nach den Menschen zu fragen, ihren Kulturen, ihren Lebensräumen. Seine Promotionsschrift befasste sich mit Ceylon, dem heutigen Sri Lanka. Den jungen Wissenschaftler beeinflußte auch Sven Hedin, der sich in München vor seinen Forschungsreisen nach „weißen Flecken“ in Südostasien erkundigte. 1940 habilitierte sich Timmermann in Hamburg. 1950 wurde er als Dozent nach Münster berufen. Schließlich sollte Köln zum Zentrum seiner Tätigkeit in Lehre und Forschung werden. 1963 übernahm er an der Universität zu Köln eine Professur, wo er bis zu seiner Emeritierung 1978 wirken konnte und Direktor des Geografischen Institutes wurde.
„Trotz seiner interdisziplinären Ausrichtung ist Timmermann aber immer ein überzeugter Geograf gewesen, für den die Geografie eine untrennbare Einheit zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften bildete“, so Prof. Dr. Klaus Fehn vom Seminar für Historische Geografie der Universität Bonn in seiner Laudatio für Timmermann zu dessen 70. Geburtstag. Das Lebenswerk brachte der Kollege auf diesen Nenner: „Im Mittelpunkt der Forschungen Timmermanns stand die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt im Laufe der Zeiten oder mit seinen eigenen Worten ausgedrückt, die Frage, in welcher Art, in welchem Umfange und mit welchen Landschaftsfolgen Lebensraum erschlossen wurde. Zur historischen Dimension des heute weltweit diskutierten Problems des Verhältnisses zwischen ökologischen Möglichkeiten und wirtschaftlichen Notwendigkeiten hat er schon vor vielen Jahren entscheidende Gesichtspunkte beigesteuert, die leider noch keineswegs überall in angemessener Weise rezipiert worden sind.“
So hat sich Timmermann schon sehr früh mit dem Abholzen tropischer Wälder, dem profitorientierten Raubbau und den ökologischen Folgen auseinandergesetzt. Ihn interessierten die Wechselwirkungen zwischen lokalen landwirtschaftlichen Strukturen, Kultur, Klima und globalen Entwicklungen zu einer Zeit, als diese Themen noch keineswegs populär waren. Bei Reisen und Feldforschungen in Taiwan, Thailand und Kambodscha hatte er Gelegenheit, den Blick auf Zusammenhänge an außer-europäischen Schauplätzen in seine wissenschaftlichen Arbeiten einzubeziehen.
Indonesien sollte eine besondere Bedeutung in seinem Leben bekommen. Durch die Bekanntschaft mit Frau Prof. Dr. Irene Hilgers-Hesse und der von ihr als Lebensaufgabe geförderten und geleiteten Deutsch-Indonesischen Gesellschaft in Köln ergaben sich Beziehungen und schließlich auch Reisen nach Indonesien, begleitet und unterstützt von seiner Frau Irmgard. 1947 hatte das Paar geheiratet. Beider Interessen ergänzten sich vortrefflich. Irmgard Timmermann-Frahm hatte sich bereits im heimatlichen Soest einen Namen als Webmeisterin und Förderin der Textilkünste gemacht. Die Beschäftigung mit Stoffen und deren Herstellung konnte bei Reisen in Indonesien fortgesetzt werden. So besuchte das Paar zusammen mit Frau Hilgers-Hesse 1981 das balinesische Dorf Tenganan und hatte außerdem Gelegenheit, traditionelle Textiltechniken mit ihrer einzigartigen Mannigfaltigkeit und ihrem Symbolgehalt an Ort und Stelle zu studieren. In Wort und Bild sind die Erfahrungen später in diversen Publikationen veröffentlicht worden. Prof. Timmermann nahm bei dieser Indonesienreise in Denpasar an der 6. Asanal Conference on Asian Languages teil und hielt ein Referat mit dem Titel „The Position of Native Tongue and National Language within the Communication of Human Community“.
Als Präsident der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft Köln war Timmermann viele Jahre in einer einflussreichen Position, die Beziehungen beider Länder auch in enger persönlicher Beziehung zur indonesischen Botschaft zu festigen und in einer Zeit für Indonesien und seine Kulturen zu werben, als Tourismus noch in bescheidenen Anfängen war. Er hatte das Amt bis 1991 inne, als er sich aus Altersgründen aus der aktiven Vereinsarbeit zurückzog.
Am 31. Juli 2006 ist Prof. Dr. Otto Friedrich Timmermann in Köln 95jährig gestorben. Er hinterlässt vier Kinder und sechs Enkelkinder. Ehefrau Irmgard, im 92. Lebensjahr, ist mit dem Nachlaß beschäftigt. Wer bei ihr zu Gast in der Mörike-Straße ist und zuzuhören versteht, dem erzählt sie gern aus den vielfältigen Erfahrungen zweier ereignisreicher Leben und auch davon, dass vor langer, langer Zeit ein kleines hölzernes Haus aus Sumatra einen Jungen angeregt hat, wissen zu wollen, wo und wie die Menschen auf dieser fernen Insel leben.