von Karl Mertes

Wayang Beber – Eine Spurensuche

(Ergänzung zu dem Artikel „Panjis Weg nach Deutschland“ aus KITA 1-15)

In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Jakarta hatte ich 1981 mit dem Fotografen Dieter Lotze eine Fotodokumentation zu Wayang Beber vorbereitet und eine Aufführung des einzigen vollständigen Sets des Bildrollen-Theaters in Jakarta organisiert.

In dem Buch von Kant-Achilles [Mally Kant-Achilles, Friedrich Seltmann, Rüdiger Schumacher – Wayang Beber. Das wiederentdeckte Bildrollen-Drama Zentraljavas. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1990, ISBN 3-515-05169-4 ] habe ich die entsprechenden Erkundungen 1983 festgehalten (Auszug aus der Anlage II, S. 196 – 198 / hier in einigen Punkten sprachlich korrigiert):

Wayang Beber in Karang Talun

Das in relativ schlechtem Zustand befindliche Set aus Karang Talun (Gedompol / Bezirk Pacitan) habe ich mehrfach gesehen und mit dem Dalang, Pak Sarnen Gunacarita, mehrmals gesprochen: am 14.2.1981 in dessen Hof, am 6.6.1981 anlässlich einer Aufführung im Goethe-Institut in Jakarta und am 15.8.1981 nochmals in seinem Haus.

Beim ersten Besuch – auf Vermittlung des Wayang Kulit-Schnitzers und Malers Djumadi – beschaffte Sarnen die Rollen aus der Nachbarschaft. Er war zu dem Zeitpunkt etwa 60-70 Jahre alt und bespielte das Wayang seit seinem 35. Lebensjahr, nach drei Jahren Lehrzeit bei seinem Vater. Nach eigenen Angaben war er der Spielleiter in der 12. Generation und mit 15 anderen Familien im Wechsel verantwortlich für die Aufbewahrung der Rollen. Nur er verfügt über besondere magisch-mystische Kräfte (sakti / kesaktian), die das ‚wirkungsvolle’ Spiel überhaupt ermöglichen. Seitens des Vaters war eigentlich der ältere Bruder als Dalang vorgesehen. Da diesem jedoch das sakti abging, übernahm Sarnen die Funktion. Mittlerweile lernte Sarnens älterer Sohn Marto das Spiel, darf jedoch zu Lebzeiten von Sarnen selber noch keine Aufführung geben (Marto spielte im begleitenden Orchester mit).


Bei unserem Besuch war Pak Sarnen zunächst verständlicherweise zurückhaltend. Unsere Gruppe bestand aus zwei Deutschen und sechs Indonesiern, einschließlich Djumadi, der vorher schon in Kontakt zu Sarnen stand, da er als Maler Kopien der
Beber-Rollen anfertigen will. Nur durch den persönlichen Bekanntheitsgrad zwischen Pak Sarnen und Djumadi – und durch dessen Übersetzungshilfen aus dem Javanischen – konnten wir mit dem Dalang ins Gespräch kommen.

Nach dem Angebot eine Spende zahlen zu wollen, erklärte Sarnen sich bereit, die Rollen vorzuzeigen. An eine Aufführung war nicht zu denken. Es bestand kein unmittelbarer Anlass, und die Vorbereitungen wären zu aufwändig gewesen. Wir waren auch gar nicht in der Absicht angereist, eine Aufführung zu erbitten. Es ging vielmehr um erste Kontakte, damit später eventuell eine Aufführung in Jakarta zustande kommen könnte. Wir waren allerdings darauf eingestellt, die Rollen zu fotografieren, sofern sich eine Bereitschaft erkennen ließ.

Nach den ortsüblichen Höflichkeiten kam es dann auch dazu, dass der Dalang den Kasten öffnete – nicht, ohne vorher kurz zu meditieren und ein kleines Opfer zu bringen. Dann rollte er die Bilder ab und gab auf Javanisch eine knappe Inhaltsangabe, die uns von Djumadi übersetzt wurde. Wir nutzten die Gelegenheit und machten Dias sowie Fotos der einzelnen Bilder. Sarnen und die ihn unterstützenden Familienmitglieder waren ausgesprochen geduldig und hilfreich. Das Fotografieren und Erläutern zog sich etwa zwei Stunden hin, in praller Mittagshitze auf dem Hof vor dem Haus von Sarnen.

Fotos © Dieter Lotze, Karl Mertes - Dalang Pak Sarnen Gunacarita vor seinem Haus in Karang Talun am 14.2. 1981

Fotos © Dieter Lotze, Karl Mertes – Dalang Pak Sarnen Gunacarita vor seinem Haus in Karang Talun am 14.2. 1981

Unsere Anwesenheit hatte einige Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur die Familienangehörigen waren auf dem Hof versammelt, sondern auch interessierte Nachbarschaft und vor allem Kinder, für die das ganze Spektakel natürlich eine willkommene Abwechslung zum dörflichen Alltag war.

Nach getaner Arbeit wurden wir mit kleinen Speisen bewirtet, nachdem zuvor darauf hingewiesen worden war, unser Spendengeld sei eben dafür benutzt worden. Mittlerweile hatte sich auch noch der Lehrer des Ortes eingefunden, der seinerseits nicht nur sprachkundig, sondern auch brani (mutig) genug war, uns eingehend nach dem Woher und dem Wohin und dem Weshalb zu befragen. Obwohl wir zu Beginn erklärt hatten, was uns in das Dorf geführt hatte und worin unser Interesse bestand, wurde das nun noch ausführlicher erörtert. So neugierig wir auf diese alten kulturellen Dokumente waren – so neugierig waren die Dorfbewohner auch auf uns, die Exoten am Ort. Schließlich traf noch ein Uniformierter ein. Der wollte nun auch ganz genau wissen, ob wir überhaupt legitimiert seien, derart argloses Interesse an den lokalen kulturellen Schätzen zu haben. Wortreiches und langes Palavern konnte uns doch nicht ersparen, dass wir auf dem Rückweg noch einen beträchtlichen Umweg machen mussten, um auf dem entfernt gelegenen Bezirksbürgermeisteramt unsere persönlichen Daten anzugeben. In Kenntnis derartiger Praxis in Indonesien hatten wir einen entsprechenden Brief des Goethe-Institutes mitgebracht, in dem das übergeordnete Interesse und unsere Funktion erläutert wurden. Das verkehrstechnisch sehr schlecht erreichbare Dorf verließen wir am Nachmittag und stießen erst in der Dunkelheit wieder auf die Hauptstraße nach Donoreja. Pak Sarnen hatten wir nach Jakarta eingeladen, und er hatte sein Kommen zugesagt.

Zum zweiten Treffen mit Pak Sarnen kam es am 6. Juni 1981 in Jakarta. Er war mit Frau, Sohn Marto und weiteren Gehilfen angereist (auf Vermittlung des Goethe-Institutes hatten sie einen Kleinbus gechartert). Die Gruppe war zu Gast bei Djumadi, der bis zu diesem Zeitpunkt bereits sechs große Kopien des Original-Sets angefertigt hatte.

Wayang Beber – Rolle 5, 3. Bild: Kampf auf dem alun-alun in Kediri, Prinz Panji links oben mit schwarzer Jacke

Wayang Beber – Rolle 5, 3. Bild: Kampf auf dem alun-alun in Kediri, Prinz Panji links oben mit schwarzer Jacke

Im Rahmen der üblichen Publikationen und Medien hatte das Goethe-Institut (damals in der Jalan Matraman Raya) auf die einmalige Vorstellung sowie die begleitende Ausstellung mit Djumadi-Bildern und Großfotos der Originale hingewiesen. In den Räumen des Goethe-Institutes war die große Halle leergeräumt und mit Bodenmatten ausgerüstet, die zum Sitzen auf dem Boden einluden. Das hatte nicht nur den Effekt eines ungezwungeneren und originelleren Zuschauens, sondern gewährleistete auch, dass keiner der Gäste höher saß als die Spieler auf der kleinen Bühne vorne.

Pak Sarnen kam mit seiner Gruppe in einer Art Prozession in traditioneller Kleidung in den Raum. Schon zu Hause hatten sie geopfert und nun auch das hier obligate Opfer dabei. Der Dalang platzierte sich vorne auf der Bühne, von seiner Frau assistiert. Weitere sechs Helfer, samt dem vierköpfigen Orchester, nahmen in dem üblichen Schneidersitz Platz. Sarnen saß hinter dem Spielkasten, sein Vortrag wurde durch ein Lautsprechersystem unterstützt. Außerdem nahm die staatliche Armee-Radiostation die Vorführung auf, um sie ein paar Tage später zu senden.

Etwa 50 Zuschauer sahen sich die Vorstellung für die ca. eineinhalb Stunden Spieldauer an. Führende Wayang-Experten aus den WayangMuseum und dem Nationalmuseum und dem Kultusministerium waren ebenfalls anwesend. Sie nutzten anschließend die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Dalang. Er war vor einigen Jahren schon einmal zu Gast in Jakarta, anlässlich einer Wayang-Konferenz.

Das Goethe-Institut hatte sich zu dieser Wayang Beber-Veranstaltung entschlossen, da es seine Aufgabe im Kulturaustausch sieht. Damit sollte den Indonesiern nicht nur deutsches Kulturgut nahegebracht werden, sondern umgekehrt das interessierte deutsche Publikum auch in Kontakt mit der lokalen Kultur treten können. Dazu gab es einen Laufzettel, auf dem kurz die einzelnen Szenen der Rollbilder erklärt waren, und eine ergänzende Broschüre mit einigen Hintergrund-Informationen (vgl. dazu den Artikel in KITA 1-15).

Pak Sarnen fuhr mit seiner Gruppe am nächsten Tag zurück. Die Vorführung war in Fachkreisen noch länger im Gespräch, hatte aber auch neuen Kreisen Interesse und Kenntnis vermittelt. Meine dritte Begegnung ergab sich Mitte August 1981, als ich mit einigen Freunden südlich von Solo war.

Unangemeldet wollten wir den Versuch wagen, Pak Sarnen einen Besuch abzustatten. Erste Probleme ergaben sich, als wir unterwegs nach dem Weg fragten und in Gedompol über den Bürgermeister die Zustimmung zu einem Abstecher in das unzugängliche Dorf einholen wollten. Erst nach einigen hitzigen Worten fand sich ein ortskundiger Begleiter.

Im Dorf Karang Talun mussten wir Pak Sarnen zunächst suchen – er war auf dem Feld. In seinem Hof hatte sich der Jakarta-Besuch offensichtlich niedergeschlagen, das Haus war erheblich vergrößert und mit einem Steinvorbau versehen. Wir wurden freudig begrüßt und sofort zu einem kleinen Imbiss geladen. Der örtliche Lehrer sowie andere Amts- und Würdenträger waren auch bald zur Stelle. Es ergab sich ein ungezwungenes Gespräch. Pak Sarnen erzählte noch stolz von dem Jakarta-Aufenthalt, er hatte sich dort sehr wohl gefühlt. Er beklagte allerdings die große Hitze und die vielen Mücken in der viel zu großen und unübersichtlichen Stadt.

Zwischenzeitlich hatte er wohl auch noch eine Vorführung im Ort gegeben, aus dem vertrauten Anlass einer drohenden Krankheit. Sarnen selber war gut aufgelegt und wollte ganz ungezwungen beantworten, was wir noch an Hintergründen in Erfahrung bringen wollten. Der Dorflehrer zog allerdings stattdessen das Gespräch an sich und tat uns wenig Neues kund, stellte jedoch sein eigenes Wissen unter Beweis. Anlass für diesen Besuch war lediglich das Bemühen, in Kontakt bleiben zu wollen, und rückzumelden, dass es uns seinerzeit nicht nur um das Arrangement für eine Aufführung gegangen war.