von Karl Mertes

Nicht nur ein Jahrhundert geht zu Ende. Es ist ein ganzes Jahrtausend, Grund genug zu einem Rückblick, einem Rückblick auch auf beinahe 500 Jahre deutsch-indonesische Beziehungen.

Natürlich gab es vor 5 Jahrhunderten noch kein Land mit dem Namen Indonesien. Dieser Name wurde erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Ethnologen und Begründer des Völkerkundemuseums in Berlin, Adolf Bastian (1826 – 1905), bekannt gemacht. Es gab auch nicht das, was wir heute Beziehungen nennen. Aber es gab Kontakte zwischen Deutschen und dem südostasiatischen Archipel. Bereits im Jahr 1509 erschien das erste deutschsprachige Buch, in dem von Malakka und den Banda-Inseln die Rede ist. Geschrieben hatte es Balthasar Sprenger, der 3 Jahre zuvor im Auftrag des Augsburger Handelshauses der Welser mit einer portugiesischen Expedition nach Asien gesegelt war. Die Expedition hatten mehrheitlich deutsche Handelshäuser aus Augsburg finanziert, die Welser, die Fugger, die Hirschvogel, die Hochstetter und die Imhoffs, von denen ein Abkömmling 250 Jahre später zu einem der bekanntesten Generalgouverneure der VOC werden sollte: Gustav Wilhelm Baron von Imhoff (1705 – 1751).

Als ich nach Jakarta versetzt wurde, hatte ich von diesen Dingen so gut wie keine Ahnung. Ich wußte nur, dass es eine alte Freundschaft zwischen Indonesien und Deutschland gab und dass nach der Unabhängigkeit des Landes ca. 17.000 Indonesier und Indonesierinnen an deutschen Universitäten studiert hatten.

Die erste Überraschung erlebte ich in einem Geschäft in der stark befahrenen, staubigen Ciputat Raya. Dort fanden meine Frau und ich beim Stöbern einen schönen 3-füßigen Theodolyten. Auf dem Schaufeld für die Kompaßnadel trug das Gerät die Inschrift:

F.W. Breithaupt und Sohn. Kassel
36658
J.H. Goldberg Soerabaya

Daneben stand ein zweiter Theodolyt mit der Inschrift

Max Hildebrand, Freiberg.

Das Gerät von Breithaupt habe ich erworben. Es steht heute in meinem Büro als lebendiger Beweis der alten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indonesien und Deutschland. Andere sichtbare Zeichen alter deutscher wirtschaftlicher Beziehungen fanden wir kurze Zeit später bei einem Besuch im Eisenbahnmuseum in Ambarawa. Dort fährt noch eine Lokomotive, die auch im indonesischen Befreiungskampf eine Rolle spielte. Sie trägt am Kessel die Inschrift:

No 3243
Maschinenfabrik Esslingen
Emil Kessler, 1902

Auf einer anderen Lokomotive steht der Herkunftsnachweis:

Sächsische Maschinenfabrik
zu Chemnitz
vormals Rich. Hartmann
1891 No 1759

Aufstellungen, die ich vor kurzem zugeschickt bekam, zeigen, dass tausende von Tonnen Eisenbahngleise und einige hundert deutscher Lokomotiven aus dieser Zeit nach Indonesien geliefert wurden. Vertreten waren alle bekannten Firmen: Krupp, Gutehoffnungshütte, Orenstein und Koppel, Thyssen-Henschel, Krauss-Maffei, Borsig,.

Es waren solche und ähnliche Erfahrungen und Informationen, die mich dazu veranlaßt haben, mich mit der Geschichte der deutsch-indonesischen Beziehungen ein wenig näher zu beschäftigen und wenn möglich, einmal eine Ausstellung über dieses Thema zu organisieren. Diese Ausstellung soll nun aus Anlaß des Millennium im Februar 2000 im ehemaligen National-Archiv in der Gajah Mada in Jakarta stattfinden. Deshalb bin ich dankbar, dass Sorotan die vorliegende letzte Ausgabe des Jahres 1999 der Frühzeit der alten deutsch-indonesischen wirtschaftlichen Beziehungen widmet, die in der Ausstellung ebenfalls ihren Platz finden werden.

Überraschende Entdeckungen kommen zu Tage. Natürlich begann alles im Zeitalter der Entdeckungen. Bereits auf dem ersten Globus der Welt, den Martin Behaim 1492 in Nürnberg angefertigt hat, waren die Inseln Java Major und Java Minor verzeichnet, obwohl sie damals noch kein Europäer gesehen hatte. Martin Behaim hatte die Angaben aus dem Buch von Marco Polo entnommen. Andere deutsche Kartographen folgten, so der berühmte Martin Waldseemüller (1470 – 1521), der mit seiner Weltkarte von 1507 den Fehler in die Welt setzte, dass Amerigo Vespucci den neuen Kontinent im Westen entdeckt habe und dass dieser infolgedessen Amerika heißen müsse. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert erschienen etwa 3 Dutzend Bücher von deutschsprachigen Reisenden über das heutige Indonesien. Später wurde die deutsche Literatur über Indonesien fast unübersehbar. Denn in den nachfolgenden Jahrhunderten lebten tausende von Deutschen hier, Forscher, Ärzte, Soldaten, Wissenschaftler, Missionare, Kaufleute, Abenteurer, Schriftsteller, Künstler. 4 deutschstämmige Gouverneure wirkten in Batavia. darunter der schon erwähnte Reformgouverneur Imhoff, der von seinem Vorgänger zunächst inhaftiert worden war, weil er sich geweigert hatte, an dem Massaker gegen die chinesische Bevölkerung 1740 mitzumachen. Wissenschaftler sind dabei wie Eberhard Rumphius (1627 – 1702), der im 17. Jahrhundert Ambon erforschte oder Franz Wilhelm Junghuhn (1809 – 1864), der im 19. Jahrhundert die erste umfassende wissenschaftliche Beschreibung von Sumatra und von Java unternahm sowie den Chininanbau auf Java einführte oder Robert Mayer (1814 – 1874), der in Surabaya das Gesetz von der Erhaltung der Energie entdeckte. Zu nennen ist Caspar Georg Carl Reinwardt (1773 – 1854), der den botanischen Park in Bogor begründete und Philipp Franz von Siebold (1796 – 1866), der den Teeanbau auf Java eingeführt hat. Große Namen der deutschen Literatur haben sich mit Indonesien beschäftigt. Friedrich Schiller (1759 – 1805), Heinrich von Kleist (1777 – 1811), Adalbert von Chamisso (1781 – 1838), Theodor Fontane (1819 – 1898), Hermann Hesse (1877 – 1962), Max Dauthendey (1867 – 1918), Ernst Jünger (1895 – 1998). Die Batavische Gesellschaft für Wissenschaft und Kultur machte Johann Wolfgang von Goethe 1826 zu ihrem Ehrenmitglied. Das 3-bändige sprachphilosophische Hauptwerk von Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835) befaßt sich mit der Kawi-Sprache auf Java.

Auch die Geschichte der deutsch-indonesischen wirtschaftlichen Beziehungen birgt Überraschungen. Wer weiß schon, dass die Firma Siemens bereits im Jahr 1855 auf dem Gebiet der Telekommunikation hier tätig war und kurze Zeit später die ersten Elektrizitätswerke für Batavia und Bogor baute oder dass Mercedes-Benz das 396. Fahrzeug seiner Produktion, das Modell mit dem Namen „Victoria“, schon im Jahr 1896 nach Java lieferte. Sehr weit gehen vor allem die Verbindungen der Handelshäuser zurück, deren Vertreter zu Beginn auch die konsularischen Interessen deutscher Einzelstaaten und nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 zunächst auch die des Reiches übernahmen. Erst 1888 erfolgte die Ernennung des ersten Berufskonsuls in Batavia. Später unterstützten 5 deutsche Honorarkonsulate in Makassar, Medan, Padang, Semarang und Surabaya die Arbeit des Generalkonsulats – ein Zeichen, wie groß die deutschen Interessen schon in der Frühzeit der deutsch-indonesischen Beziehungen gewesen sind.

Die traditionelle Anwesenheit von Deutschen in Niederländisch-Indien fand ihr Ende erst im 2. Weltkrieg, als die niederländische Verwaltung als Reaktion auf den Einmarsch der Truppen Hitlers in den Niederlanden die ca. 8.000 Personen umfassende deutsche Gemeinschaft in Indonesien auflöste. 1940 wurden die Deutschen vielfach interniert und auf Schiffen nach Indien verbracht. Eins dieser Schiffe, das auch noch den Namen „Imhoff“ trug, wurde von japanischen Torpedobomben getroffen und ging unter. 411 Deutsche fanden dabei den Tod, unter ihnen auch der berühmte Maler und Musiker Walter Spies.

Die kurze japanischen Besetzung Indonesiens hatte ein merkwürdiges Nachspiel. Die japanische Verwaltung nämlich erlaubte den wenigen zurückgebliebenen deutschen Frauen und Kindern, eine Schule zu gründen. Es war die erste deutsche Schule in Indonesien. Sie lag in Sarangan in Zentraljava und hatte bis zu ihrem Ende ca. 300 Schüler. Das Kuriose war, dass dieses Ende erst 1948 kam, als Sarangan von holländischen Truppen in Besitz genommen wurde. Der erste Präsident Indonesiens, Soekarno, hatte nichts gegen die Deutsche Schule einzuwenden gehabt. Er verstand Deutsch und war in seinem Denken wie viele seiner Mitarbeiter von deutschsprachigen Sozialphilosophen und Politikwissenschaftlern wie Georg Simmel, Arnold Gehlen und Otto Bauer beeinflußt worden, ein noch zu schreibendes Kapitel deutsch-indonesischer Geschichte.

In den ersten Jahren der neu gewonnenen Unabhängigkeit des Landes kehrte sich dann um, was als Überschrift über die ersten Jahrhunderte deutsch-indonesischer Beziehungen hätte stehen können: „Deutsche kommen nach Indonesien“. In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhundert kamen nun im Gegenzug die Indonesier nach Deutschland, um an deutschen Universitäten und Hochschulen zu studieren. Deutsch war damals noch Wahlpflichtfach in der Schule. Schätzungen gehen davon aus, dass es heute bis zu 17000 Akademiker gibt, die in Deutschland studiert haben. Ganz neue, tiefe, freundschaftliche und verwandtschaftliche Bindungen sind so entstanden und bilden heute neben den historischen Bezügen ein wesentliches und in die Zukunft gerichtetes Element der deutsch-indonesischen Beziehungen.

Ich freue mich, dass die deutsch-indonesische Freundschaft eine seit Jahrhunderten gebaute, feste Grundlage besitzt, auf die unsere beiden Länder auch in Zukunft bauen können. Dies gilt umsomehr als diese Zukunft nach der Wende in Indonesien nunmehr ganz der Zusammenarbeit zweier Staaten gewidmet werden kann, die sich beide der Demokratie, den uveräußerlichen Menschenrechten und der Herrschaft des Rechts verbunden fühlen.